Das Foucaultsche Pendel
nach Ruhm durchs Mittelmeer zogen.«
»Herr Casaubon beschäftigt sich mit den Templern«, sagte Belbo. »Er kennt die Thematik besser als ich. Erzählen Sie.«
»Die Templer haben mich schon immer interessiert. Ein Häuflein edler Ritter, die das Licht Europas unter die Wilden der beiden Tripolis trugen...«
»Die Gegner der Templer waren eigentlich gar nicht so wild«, sagte ich in konziliantem Ton.
»Sind Sie je Gefangner der Rebellen im Maghreb gewesen?« fragte er mich sarkastisch.
»Bisher nicht.«
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Er fixierte mich, und ich war froh, nie in seiner Truppe gedient zu haben. »Entschuldigen Sie«, sagte er zu Belbo,
»ich gehöre zu einer anderen Generation.« Er sah mich herausfordernd an. »Sind wir hier, um einen Prozeß zu führen, oder um...«
»Wir sind hier, um über Ihre Arbeit zu sprechen, Herr Oberst«, sagte Belbo. »Bitte erzählen Sie uns davon.«
»Ich möchte eines gleich klarstellen«, sagte der Oberst und legte eine Hand auf seinen Ordner. »Ich bin bereit, zu den Publikationskosten beizutragen, ich schlage Ihnen kein Ver-lustgeschäft vor. Wenn Sie wissenschaftliche Garantien verlangen, kann ich sie Ihnen bringen. Gerade erst vor zwei Stunden habe ich mich mit einem einschlägigen Experten getroffen, der eigens aus Paris hergekommen ist Er wird ein maßgebliches Vorwort schreiben können...« Er erriet Belbos Frage und winkte ab, als wollte er sagen, daß es im Augenblick besser sei, angesichts der Delikatheit des Falles keine Namen zu nennen.
»Doktor Belbo«, sagte er dann, »hier auf diesen Seiten habe ich das Material für eine Geschichte. Eine wahre. Und keine banale. Besser als die amerikanischen Kriminalromane. Ich habe etwas gefunden, etwas sehr Wichtiges, aber es ist nur der Anfang. Ich möchte öffentlich mitteilen, was ich weiß, damit diejenigen, die dieses Puzzlespiel vervollständigen können, es lesen und sich bemerkbar machen. Ich möchte einen Köder auswerfen. Und ich muß es unverzüglich tun.
Derjenige, der vor mir in Erfahrung gebracht hatte, was ich heute weiß, ist vermutlich umgebracht worden, eben damit er sein Wissen nicht verbreiten konnte. Wenn ich das, was ich weiß, zweitausend Lesern sage, wird niemand mehr daran interessiert sein, mich aus dem Weg zu räumen.« Er machte eine Pause. »Die Herren wissen etwas über die Verhaftung der Templer?«
»Herr Casaubon hat mir kürzlich davon erzählt, und es hat mich frappiert, daß sich die Templer so widerstandslos verhaften ließen und offenbar nichts ahnten...«
Der Oberst lächelte mitleidig. »In der Tat. Es ist kindisch zu glauben, daß Leute, die so mächtig waren, daß der König von Frankreich vor ihnen zitterte, nicht in der Lage gewesen sein sollten, rechtzeitig in Erfahrung zu bringen, daß vier Halunken den König gegen sie aufhetzten und daß der Kö-
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nig daraufhin den Papst aufhetzte. Nein, ich bitte Sie! Da muß es doch einen Plan gegeben haben. Und zwar einen weitreichenden, hochgespannten, ja erhabenen Plan. Nehmen Sie an, die Templer hätten einen Plan zur Eroberung der Welt gehabt und das Geheimnis einer immensen Macht-quelle gekannt, ein Geheimnis, für das kein Opfer zu groß war, für dessen Bewahrung es sich sogar lohnte, das ganze Pariser Hauptquartier aufzugeben, die über ganz Frankreich, Spanien, Portugal, England, Italien verstreuten Güter, und die Burgen im Heiligen Land, die monetären Guthaben, alles... Philipp der Schöne muß es geahnt haben, warum sonst sollte er eine Verfolgung auslösen, die schließlich die Blüte der französischen Ritterschaft in Mißkredit brachte. Die Templer begreifen, daß der König begriffen hat und sie zu vernichten trachtet, es hat keinen Sinn, ihm frontal entgegenzutreten, der Plan erfordert Zeit, der Schatz, oder was immer es gewesen sein mag, muß erst noch genauer lokali-siert werden, oder man kann ihn nur langsam ausbeuten...
Und die geheime Führung des Tempels, deren Existenz mittlerweile alle einräumen...«
»Alle?«
»Gewiß. Es ist undenkbar, daß ein so mächtiger Orden so lange überleben konnte, ohne ein geheimes Führungsgremi-um zu haben.«
»Das Argument ist makellos«, sagte Belbo mit einem Sei-tenblick zu mir.
»Ergo«, fuhr der Oberst fort, »sind auch die Folgerungen evident. Der Großmeister gehört natürlich zur geheimen Führung, ist aber nur die Deckung nach außen, das Aushängeschild. Gauthier Walther sagt in seinem Buch La chevalerie et les aspects secrets de l’histoire, der Welteroberungsplan der
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