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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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das an dem Abend geschehen sein, als ich mit ihm, dem Kommissar, zusammen war, und er fragt mich, wieso ich da so sicher sei, schließlich seien wir gegen Mitternacht auseinandergegangen und was dann passiert sei, wisse er nicht. Ich frage ihn, ob er das im Ernst meine, und er fragt mich, ob ich noch nie einen Krimi gelesen hätte und nicht wüßte, daß die Polizei grundsätzlich jeden verdächtigen müsse, der kein glasklares Alibi habe, und er würde seinen Kopf für eine Transplantation herge-ben, sogar auf der Stelle, wenn ich ein Alibi für die Zeit zwischen ein Uhr nachts und dem nächsten Morgen hätte.
    Was soll ich Ihnen sagen, Casaubon, vielleicht hätte ich besser daran getan, ihm die Wahrheit zu erzählen, aber die Leute aus meiner Gegend sind Dickschädel, nichts fällt ihnen schwerer als einzulenken.
    Ich schreibe Ihnen dies alles, weil, so wie ich Ihre Adresse gefunden habe, auch De Angelis sie finden könnte: Für den Fall, daß er sich mit Ihnen in Verbindung setzt, sollen Sie wenigstens wissen, welche Linie ich eingehalten habe. Aber da mir diese Linie nicht gerade sehr gerade erscheint, sagen Sie ruhig alles, wenn Sie’s für richtig halten. Ich schäme mich, entschuldigen Sie, ich fühle mich als Komplize von irgend etwas und suche nach einer halbwegs noblen Rechtfertigung und kann partout keine finden. Muß an meiner bäuerlichen Herkunft liegen, bei uns auf dem Land sind wir sture Hunde.
    Die ganze Geschichte ist ziemlich — wie man auf deutsch sagt — unheimlich.
    Ihr Jacopo Belbo
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    ... ces mystérieux Initiés devenus nombreux, hardis et conspirateurs: Jésuitisme, magnétisme,
    Martinisme, pierre philosophale, somnambulis-
    me, éclectisme, tout est de leur ressort. *
    C.-L. Cadet-Gassicourt, Le tombeau de Jacques de Molay, Paris, Desenne, 1797, p. 91
    Der Brief beunruhigte mich. Nicht weil ich fürchtete, von De Angelis gesucht zu werden, schließlich war ich in einer anderen Hemisphäre, sondern aus unbestimmteren Gründen. Damals dachte ich, meine Irritation käme daher, daß mich dort unten eine Welt, die ich längst verlassen zu haben glaubte, plötzlich hinterrücks wieder ansprang. Heute begreife ich, daß das, was mich verwirrte, eine weitere Spur der Ähnlichkeit war, der Verdacht einer Analogie. In instinktiver Abwehr glaubte ich, was mich ärgerte, sei die Wie-derbegegnung mit Belbo und seinem ewigen schlechten Gewissen. So beschloß ich, alles zu verdrängen, und sagte Amparo nichts von dem Brief.
    Bestärkt wurde ich darin von einem zweiten Brief, den mir Belbo zwei Tage später schickte.
    Die Sache mit dem verschwundenen Mädchen, schrieb er, habe sich auf vernünftige Weise geklärt. Ein Zuträger der Polizei habe erzählt, daß der Geliebte des Mädchens in eine Abrechnung unter Dealern geraten sei, wegen einer Drogen-lieferung, die er auf eigene Faust verscherbelt habe, statt sie dem ehrlichen Großhändler zu übergeben, der sie bereits bezahlt habe. Dergleichen ist im Milieu sehr unbeliebt. Um seine Haut zu retten, hat sich der Knabe aus dem Staub gemacht. Und offenkundig sein Mädchen mitgenommen.
    Beim Durchstöbern der Sachen in seiner Wohnung fand De
    * diese mysteriösen Initiierten, zahlreich geworden, kühn und konspirativ: Jesuitismus, Magnetismus, Martinismus, [Suche nach dem] Stein der Weisen, Somnambulismus, Eklektizismus, alles stammt von ihnen.
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    Angelis dann Hefte vom Typ Picatrix, mit einer Reihe von Artikeln, die rot angestrichen waren. Einer betraf den Schatz der Templer, ein anderer die Rosenkreuzer, die in einer Burg oder Höhle oder weiß der Teufel was lebten, in der geschrieben stand »post 120 annos patebo«*, und die als sechsunddrei-
    ßig Unsichtbare definiert wurden. Für De Angelis war damit alles klar: Das Mädchen hat diese Art Literatur verschlungen (dieselbe, an der sich auch der Oberst labte) und sie dann bröckchenweise wieder ausgespuckt, wenn sie in Trance war. Der Fall war abgeschlossen, ans Rauschgiftdezernat übergeben.
    Belbos Brief troff vor Erleichterung. Die Erklärung des Kommissars schien die ökonomischste.
    Vorgestern abend im Periskop sagte ich mir, daß die Dinge in Wahrheit ganz anders gelaufen sein mußten: Das Medium hatte zwar wirklich etwas gesagt, was es von Ardenti gehört haben mußte, aber was nie in den Heften gestanden hatte und niemand wissen durfte. Im Milieu von Picatrix mußte jemand gewesen sein, der den Oberst hatte verschwinden lassen, um ihn zum Schweigen zu bringen, und dieser jemand hatte

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