Das Foucaultsche Pendel
sagte es mir vorgestern abend im Periskop, als ich, um gegen das Kribbeln in meinen Gliedern anzukämpfen, die Beine bewegte, als schlüge ich noch das Agogõ. Siehst du, sagte ich mir, um dich der Macht des Unbekannten zu entziehen, um dir selbst zu beweisen, daß du nicht an diese Dinge glaubst, akzeptierst du ihren Zauber. Wie ein bekennender Atheist, der nachts den Teufel sieht und sich gut atheistisch sagt: Er existiert nicht, was ich da sehe, ist bloß eine Täuschung meiner erregten Sinne, vielleicht liegt es an meiner Verdauung; aber er weiß das nicht, er glaubt an seine umgekehrte Theologie. Was könnte ihm, der seiner Existenz so sicher ist, Angst einjagen? Du schlägst das Kreuz, und der andere, gläubig, verzieht sich mit Blitz und Schwefelgestank.
So erging es mir wie einem übergescheiten Ethnologen, der jahrelang den Kannibalismus studiert hat und dann, um die Dummheit der Weißen herauszufordern, überall erzählt, daß Menschenfleisch köstlich schmecke. Unverantwortliches Gerede, denn er weiß, daß er’s nie wird probieren müssen.
Bis schließlich jemand, begierig auf Wahrheit, es an ihm aus-probiert. Und während der Gute Stück für Stück verzehrt wird, bedauert er, daß er nun nie mehr erfahren wird, ob er recht gehabt hatte, und hofft geradezu, daß sein Fleisch gut schmeckt, um wenigstens seinen Tod zu rechtfertigen. So ähnlich erging es mir vorgestern abend im Periskop: ich muß-
te geradezu glauben, daß der Große Plan wahr sei, andernfalls wäre ich in den letzten zwei Jahren der omnipotente Schöpfer eines schrecklichen Alptraums gewesen. Besser, der Alptraum ist wahr, denn was wahr ist, ist wahr, und du bist nicht involviert.
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Sauvez la faible Aischa des vertiges de Nahash, sauvez la plaintive Héva des mirages de la sensi-bilité, et que les Khérubs me gardent. *
Joséphin Péladan, Comment on devient Fée, Paris, Chamuel, 1893, p. XIII
Während ich immer tiefer in den Dschungel der Ähnlichkeiten eindrang, bekam ich einen Brief von Belbo: Lieber Casaubon,
ich wußte gar nicht, daß Sie in Brasilien sind, ich hatte Ihre Spur ganz verloren, ich wußte nicht einmal, daß Sie inzwischen promoviert haben (gratuliere!), aber vor zwei Tagen fand ich jemanden bei Pilade, der mir Ihre Koordinaten geben konnte. Es scheint mir angebracht, Sie über einige neue Fakten ins Bild zu setzen, betreffend die unselige Geschichte mit dem Oberst Ardenti. Mehr als zwei Jahre sind seither vergangen, und ich muß mich nochmals bei Ihnen dafür entschuldigen, daß ich Sie damals, ohne es zu wollen, in das Schlamassel mit reingezogen habe.
Ich hatte die häßliche Sache schon fast vergessen, aber vor zwei Wochen war ich zu einem Ausflug ins Montefeltro gefahren, Sie wissen schon, die Gegend hinter Rimini in den Bergen, und da bin ich ganz zufällig auch auf den Felsen von San Leo gestoßen. Waren Sie mal da? Im achtzehnten Jahrhundert gehörte die Festung noch zum Kirchenstaat, und der Papst hatte Cagliostro dort eingesperrt, in einer Zelle ohne Tür (man kam das erste und letzte Mal durch ein Loch in der Decke rein) und mit einem Fensterchen, durch das der Verurteilte nur die zwei Kirchen im Ort sehen konnte. Auf dem rohen Holzgestell, wo Cagliostro schlief und gestorben ist, lag ein Rosenstrauß, und der Führer sagte, es gebe noch
* Rettet die schwache Aischa vor den schwindelnden Höhen von Nahash, rettet die klagende Eva vor den Wundern der Sensibilität, und mögen die Cherubim mich beschützen.
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viele, die zum Ort des Martyriums pilgerten. Zu den hart-näckigsten Pilgern, sagte er mir, gehörten die Mitglieder von Picatrix, einem Mailänder Mysteriosophenzirkel, der auch eine Zeitschrift namens — man beachte den Einfallsreich-tum — Picatrix herausbringe.
Sie wissen, daß ich derlei Kuriositäten schätze, und so habe ich mir in Mailand gleich eine Nummer von Picatrix besorgt, aus der ich unter anderm erfuhr, daß in wenigen Tagen eine besondere Feier anstand: eine Beschwörung des Geistes von Cagliostro. Ich also nichts wie hin.
Die Wände waren verhängt mit Fahnen voll kabbalistischer Zeichen, großer Aufwand an Uhus und Käuzchen, Skarabäen und Ibissen, orientalischen Göttern unbestimmter Provenienz. Im Vordergrund eine Art Bühne, mit einem Pro-szenium aus flackernden Fackeln auf groben Wurzelstrünken, im Hintergrund ein Altar mit dreifüßigem Aufsatz und zwei Statuetten von Isis und Osiris. Drumherum ein Amphitheater aus Anubis-Figuren, ein Porträt von
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