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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Agliè lachte auf und bot uns erneut von seinen köstlichen krummen Zigarren an. » Quid est veritas, wie einer meiner Bekannten vor vielen Jahren sagte. Zum Teil handelt es sich um einen Haufen Dummheiten. Zunächst einmal, wenn man die genaue Basis der Pyramide durch das genaue Doppel ihrer Höhe teilt und auch die Stellen hinter dem Komma mitzählt, erhält man nicht die Zahl n, sondern 3,1417254. Eine kleine, aber wichtige Differenz. Ferner berichtet ein Schüler von Piazzi Smyth, Flinders Petrie, der auch Stonehenge vermessen hat, er habe den Meister eines Tages dabei überrascht, wie er, um auf die richtigen Zahlen zu kommen, an den Granitvorsprüngen im Vorraum des Königsgrabes herumfeilte... Dummes Geschwätz vielleicht, aber Piazzi Smyth war kein Mann, der Vertrauen einflößte, man brauchte nur einmal zu sehen, wie er sich die Krawatte band. Gleichwohl gibt es unter all diesen Dummheiten auch unbestreitbare Wahrheiten. Meine Herren, wollen Sie mir bitte ans Fenster folgen?«
    Er riss theatralisch die Flügel auf, bat uns hinauszuschauen und zeigte uns in der Ferne, an der Ecke zwischen der Seitenstraße und der Allee, einen hölzernen Kiosk, in dem vermutlich die Lose der staatlichen Lotterie verkauft wurden.
    »Sehen Sie jenen Kiosk dort«, sagte er. »Ich lade Sie ein, nachher hinzugehen und ihn zu vermessen. Sie werden sehen, daß die Breite des Bodens 149 Zentimeter beträgt, also ein Hundertmilliardstel der Entfernung von der Erde zur Sonne. Die Höhe der Rückwand geteilt durch die Breite des Fensters ergibt 176 : 56 = 3,14, die Zahl n. Die vordere Höhe beträgt 19 Dezimeter, soviel wie die Zahl der Jahre des griechischen Mondzyklus. Die Summe der Höhen der beiden vorderen und der beiden hinteren Kanten macht 190 x 2 + 176 x 2 = 732, das Datum der Schlacht von Poitiers. Die Dicke des Bodens beträgt 3,10 Zentimeter und die Breite des Fensterrahmens 8,8 Zentimeter. Ersetzt man die Zahlen vor dem Komma durch die entsprechenden Buchstaben des Alphabets, so erhält man C10H8, die Formel des Naphthalins.«
    »Fantastisch«, sagte ich, »haben Sie das gemessen?«
    »Nein«, sagte Agliè. »Das hat ein gewisser Jean-Pierre Adam an einem anderen Kiosk getan. Ich nehme an, daß alle Kioske der staatlichen Lotterie mehr oder minder dieselben Maße haben. Mit den Zahlen kann man machen, was man will. Wenn ich die heilige Zahl 9 habe und will auf 1314 kommen, das Datum des Märtyrertodes von Jacques de Molay — ein teures Datum für jeden, der sich, wie ich, der Tradition des Tempelrittertums verpflichtet weiß —, was tue ich dann? Ich multipliziere mit 146, dem Schicksalsdatum der Zerstörung Karthagos. Wie bin ich zu dem Ergebnis gekommen? Ganz einfach, ich habe 1314 durch zwei, durch drei und so weiter geteilt, bis ich auf ein befriedigendes Datum gestoßen bin. Ich hätte auch 1314 durch 6,28 teilen können, das Doppelte von 3,14, und wäre auf 209 gekommen. Und was ist 209? Das Jahr der entscheidenden Wende des Zweiten Punischen Krieges. Zufrieden?«
    »Demnach glauben Sie an keinerlei Zahlenkunde?« fragte Diotallevi enttäuscht.
    »Ich? Ich glaube fest daran, ich glaube, daß das Universum ein wunderbares Konzert von Zahlenkorrespondenzen ist und daß die Lektüre der Zahl und ihre symbolische Deutung ein privilegierter Weg zur Erkenntnis sind. Doch wenn die Welt, die untere und die obere, ein System von Entsprechungen ist, in dem tout se tient, so ist es nur natürlich, daß der Kiosk und die Pyramide, die beide von Menschen erbaut sind, in ihrer Struktur unbewusst die Harmonien des Kosmos reproduzieren. Diese sogenannten Pyramiedologen entdecken mit unglaublich komplizierten Mitteln eine ganz einfache Wahrheit, die sehr viel älter und seit langem bekannt ist. Das Perverse ist die Logik der Forschung und der Entdeckung, denn sie ist die Logik der Wissenschaft. Die Logik der Weisheit hat keine Entdeckungen nötig, da sie schon weiß. Wozu beweisen, was gar nicht anders sein könnte? Wenn es ein Geheimnis gibt, liegt es sehr viel tiefer. Diese Ihre Autoren bleiben immer nur an der Oberfläche. Vermutlich tischt uns der hier auch all die Kindereien über die Ägypter und die Elektrizität auf... «
    »Ich frage Sie nicht mehr, wie Sie das erraten konnten.«
    »Sehen Sie? Diese Leute begnügen sich mit der Elektrizität, wie irgendein Ingenieur Marconi. Weniger kindisch wäre die Hypothese der Radioaktivität. Eine interessante Annahme, die im Gegensatz zur Elektrizitätshypothese auch den viel

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