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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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frizzante bestellt hatte, woraufhin wir alle um seine geistige Gesundheit bangten. »Er ist ein Liebhaber der Geheimwissenschaften, der den Schwätzern und Dilettanten misstraut. Aber wie wir heute ungebührlicherweise mitgehört haben, hört er sie an, während er sie verachtet, und kritisiert sie und sagt sich nicht von ihnen los.«
    »Dieser Herr, dieser Graf oder Markgraf Agliè oder was immer er sein mag, hat heute ein Schlüsselwort ausgesprochen«, sagte Belbo. »Spirituelle Ritterschaft. Er verachtet diese Leute, aber er fühlt sich mit ihnen durch das Band einer spirituellen Ritterschaft verbunden. Auch ich glaube ihn zu verstehen.«
    »In welchem Sinne?« fragten wir.
    Belbo war inzwischen beim dritten Gin Martini angelangt (Whisky am Abend, pflegte er zu sagen, denn er beruhigt und verleitet zur Träumerei, Gin Martini am späten Nachmittag, denn er macht munter und unternehmungslustig). Er begann, von seiner Kindheit in *** zu erzählen, wie er es schon einmal mir gegenüber getan hatte.
    »Es war zwischen 1943 und 1945, ich meine in den Jahren des Übergangs erst vom Faschismus zur Demokratie und dann wieder zur Diktatur der ›Sozialrepublik‹ von Salò, aber mit dem Partisanenkrieg in den Bergen. Ich war zu Anfang dieser Geschichte elf Jahre alt und lebte im Hause meines Onkels Carlo. Wir wohnten in der Stadt, aber 1943 waren die Bombardierungen schlimmer geworden, und meine Mutter hatte beschlossen, uns zu evakuieren, wie man damals sagte. In *** wohnten Onkel Carlo und Tante Caterina. Onkel Carlo kam aus einer Großbauernfamilie und hatte das Haus in *** geerbt, mit Land, das an einen gewissen Adelino Canepa verpachtet war, zur Halbpacht. Die Halbpächter beackerten das Land, ernteten das Korn, kelterten den Wein und überwiesen die Hälfte der Einkünfte an die Besitzer. Natürlich war das eine gespannte Situation, die Halbpächter fühlten sich ausgebeutet und die Besitzer auch, weil sie nur die Hälfte der Erträge ihres Landes bekamen. Die Besitzer hassten die Halbpächter, und die Halbpächter hassten die Besitzer. Aber sie lebten zusammen, im Haus meines Onkels Carlo. Onkel Carlo hatte sich 1914 freiwillig zu den Alpini gemeldet. Von rauer piemontesischer Wesensart, ganz Pflicht und Vaterland, war er erst Leutnant, dann Hauptmann geworden. Und dann, in einer der blutigen Schlachten am Isonzo, befand er sich zufällig neben einem idiotischen Soldaten, der eine Granate in der Hand explodieren ließ — warum hieße sie sonst auch Handgranate? Na jedenfalls, er sollte gerade ins Massengrab geworfen werden, da bemerkte ein Sanitäter, daß er noch lebte. Sie brachten ihn in ein Feldlazarett, nahmen ihm ein Auge ab, das nur noch an Fäden aus der Höhle hing, amputierten ihm einen Arm und pflanzten ihm, nach Auskunft von Tante Caterina, auch eine Metallplatte unter den Skalp, weil er ein Stück von der Schädeldecke verloren hatte. Kurz, ein chirurgisches Meisterwerk auf der einen Seite und ein Held auf der anderen. Silbermedaille, Ritterkreuz der italienischen Krone und nach dem Krieg ein sicherer Posten als Staatsbeamter. Onkel Carlo wurde schließlich Leiter des Finanzamts in ***, wo er den Familienbesitz geerbt hatte und hingezogen war, um im Haus seiner Ahnen zu leben, zusammen mit Adelino Canepa und dessen Familie.«
    Onkel Carlo als Chef des Finanzamts gehörte zu den örtlichen Honoratioren. Und als Kriegsversehrter und Ritter der italienischen Krone konnte er nicht umhin, ein Sympathisant der Regierung zu sein, sei diese auch die faschistische Diktatur. War Onkel Carlo Faschist?
    »In dem Maße, wie — wie man Achtundsechzig sagte — der Faschismus die Kriegsveteranen aufgewertet, mit Dekorationen behängt und in der Karriere vorangebracht hatte, können wir sagen, war Onkel Carlo ein moderater Faschist.
    Genug jedenfalls, um von Adelino Canepa gehasst zu werden, der ein überzeugter Antifaschist war, aus sehr klaren Gründen. Er musste sich jedes Jahr zu ihm ins Amt begeben, um seine Steuererklärung auszufallen. So kam er dann ins Büro mit komplizenhafter und dreister Miene, nachdem er Tante Caterina mit ein paar Dutzend Eiern zu verführen versucht hatte, und sah sich Onkel Carlo gegenüber, der nicht nur als Held unkorrumpierbar war, sondern auch besser als jeder andere wusste, wie viel ihm der Canepa im Laufe des Jahres gestohlen hatte, wovon er ihm keinen Centesimo verzieh. Adelino Canepa betrachtete sich als Opfer der Diktatur und begann, verleumderische Gerüchte über Onkel

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