Das Foucaultsche Pendel
Pilade mit der Bestellung eines französischen Marken-Cognacs. Natürlich gab es ihn, aber er thronte hoch oben auf dem Bord hinter dem Zinktresen, ungeöffnet vielleicht seit Jahren.
Während er sprach, betrachtete Agliè das Getränk in seinem Glas gegen das Licht um es dann mit den Händen zu wärmen, wobei er aus seinen Ärmeln goldene Manschettenknöpfe in vage ägyptischem Stil aufblitzen ließ.
Wir zeigten ihm unsere Liste und sagten, wir hätten sie aus den Manuskripten der Diaboliker zusammengestellt.
»Dass die Templer mit den traditionellen Dombauhütten zusammenhingen«, begann er, »das heißt mit den Logen der Steinmetzen, die sich auf den Bau des Salomonischen Tempels zurückführten, ist sicher. So sicher, wie dass sich diese Logenbrüder auf Hiram beriefen, den Architekten des Tempels, der einem mysteriösen Mord zum Opfer gefallen war, weshalb sie ihn zu rächen gelobten. Nach der Verfolgung durch Philipp den Schönen sind gewiss viele Tempelritter in jene Bauhandwerkerbünde geströmt, um den Mythos der Rache für Hiram mit dem der Rache für Jacques de Molay zu verschmelzen. Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts gab es in London noch echte Bauhütten, sogenannte operative oder Werklogen, doch allmählich kamen, angelockt von ihren traditionellen Riten, immer mehr gelangweilte, wenngleich hoch geachtete Aristokraten hinzu, und so verwandelte sich die operative oder Werkmaurerei, die eine Angelegenheit echter Maurer gewesen war, in die spekulative Maurerei, die eine Geschichte symbolischer Maurer wurde. Angeregt vom ersten Großmeister der Englischen Großloge, John Theophilus Desaguliers, einem Freund Newtons, verfasste der protestantische Pastor Anderson die Constitutions für eine Loge von Maurerbrüdern im Geist des Deismus und begann, von den Maurerbrüderschaften als von viertausend Jahre alten Zünften zu sprechen, die auf die Erbauer des Salomonischen Tempels zurückgingen. Dies sind die Gründe für den freimaurerischen Mummenschanz mit Schürze, Winkelmaß, Zirkel und Hammer. Doch vielleicht gerade deshalb wurde die Freimaurerei nun Mode, attraktiv für die Adligen wegen der Stammbäume, die sie durchblicken ließ, aber mehr noch für die Bürger, denen sie nicht nur erlaubte, von gleich zu gleich mit den Adligen zu verkehren, sondern auch den Degen zu tragen. Elend der entstehenden modernen Welt: die Adligen brauchen ein Milieu, in dem sie sich mit den neuen Kapitalproduzenten treffen können, und diese — wen wundert's? — suchen dringend nach einer Legitimation.«
»Aber die Templer kamen doch, scheint's, erst später ins Spiel.«
»Der erste, der einen direkten Zusammenhang mit den Templern herstellte, war Ramsay, von dem ich jedoch lieber nicht sprechen möchte. Ich fürchte, er war von den Jesuiten inspiriert. Aus seiner Predigt ging dann die schottische Abart der Freimaurerei hervor.«
»Schottisch in welchem Sinne?«
»Der schottische Ritus ist eine deutsch-französische Erfindung. Die Londoner Großloge hatte drei Initiationsgrade: Lehrling, Geselle und Meister. Die schottische Freimaurerei vervielfachte diese Grade, denn viele Grade bedeuteten viele Stufen der Initiation und des Geheimnisses... Die Franzosen mit ihrer angebotenen Eitelkeit haben es dann auf die Spitze getrieben... «
»Aber was war denn da für ein Geheimnis?« »Keins natürlich. Hätte es ein Geheimnis gegeben oder hätten sie es besessen, so hätte seine Komplexität die Komplexität der Initiationsgrade schon gerechtfertigt. Doch Ramsay multiplizierte die Grade, um glauben zu machen, dass er ein Geheimnis besitze. Und wir können uns vorstellen, wie die braven Kaufleute bebten bei dem Gedanken, sie könnten endlich die Fürsten der Rache werden... «
Agliè geizte nicht mit Freimaurerklatsch. Und beim Reden ging er, wie es seine Art war, allmählich zur ersten Person über. »Zu jener Zeit schrieb man in Frankreich bereits couplets über die neue Mode der Frimaçons, die Logen wucherten allenthalben, in ihnen zirkulierten Bischöfe, Mönche, Grafen und Krämer, und die Mitglieder des Königshauses wurden Großmeister. In den neutemplerischen Logen der Strikten Observanz dieses dubiosen Herrn von Hund waren Leute wie Goethe, Lessing, Mozart, Voltaire, es entstanden Logen im Militär, in den Regimentern bildeten sich Verschwörungen, um Hiram zu rächen, und man diskutierte über die bevorstehende Revolution. Für die andern war die Freimaurerei einfach eine société de plaisir, ein Club, ein
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