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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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aller. Er schickte einen Brief an den Herzog, worin er die templerische Herkunft der Freimaurerei entschieden verneinte, desgleichen die Existenz der Unbekannten Oberen und die Nützlichkeit der esoterischen Wissenschaften. Er tat das aus Treue zur katholischen Kirche, aber mit Argumenten der bürgerlichen Aufklärung. Als der Herzog den Brief im Kreise Vertrauter vorlas, wollte es keiner glauben. Weiter erklärte de Maistre, der Zweck des Ordens sei lediglich eine spirituelle Läuterung und die traditionellen Zeremonien und Riten dienten einzig dazu, den mystischen Geist wachzuhalten. Er lobte die neuen Symbole der Freimaurerei, behauptete aber, ein Bild, das mehrere Dinge zugleich darstelle, stelle gar nichts mehr dar. Was nun freilich entschuldigen Sie — ganz eindeutig im Widerspruch zur gesamten hermetischen Tradition steht, denn ein Symbol ist um so machtvoller und bedeutsamer, je vieldeutiger und flüchtiger es ist, was würde sonst aus dem Geiste des Hermes, des Gottes mit den tausend Gesichtern? Was die Templer betraf, so sagte de Maistre bündig, ihr Orden sei im Geiste der Habsucht gegründet und von der Habsucht zerstört worden, das sei alles. Der Savoyarde konnte nicht vergessen, dass der Orden mit Billigung des Papstes zerschlagen worden war. Nie darf man sich auf die katholischen Legitimisten verlassen, so glühend ihre hermetische Neigung auch sein mag. Auch seine Antwort auf die Frage nach den Unbekannten Oberen war lächerlich: Es gebe sie nicht, und der Beweis dafür sei, dass wir sie nicht kennten. Worauf ihm erwidert wurde, gewiss kennten wir sie nicht, sonst wären sie ja keine Unbekannten, und sagen Sie selbst, ob Ihnen seine Art zu argumentieren besonders logisch erscheint. Seltsam, dass ein Gläubiger seines Schlages so wenig Sinn für das Geheimnis hatte. Nach all diesen Ausführungen formulierte de Maistre seinen Schlussappell: Kehren wir zum Evangelium zurück, und lassen wir die Narreteien von Memphis! Womit er nur die altbekannte Linie der Kirche vertrat. Begreifen Sie nun, in welchem Klima sich das Wilhelmsbader Treffen vollzog? Nach dem Abfall einer Autorität wie de Maistre sah sich Willermoz in der Minderheit und konnte allenfalls noch einen Kompromiss erzielen. Der templerische Ritus wurde zwar beibehalten, aber jede Aussage über die Herkunft wurde vertagt, im ganzen also ein Fehlschlag. Auf jenem Konvent verlor das Schottentum seine Chance. Wären die Dinge anders gelaufen, hätte sich die Geschichte des Jahrhunderts vielleicht ganz anders entwickelt.«
    »Und danach?« fragte ich. »Hat man nichts wieder zusammenflicken können?«
    »Was gab es denn da noch zusammenzuflicken, um Ihre Terminologie zu benutzen... Drei Jahre später lag ein gewisser Lanz, ein Pfarrer, der sich dem Illuminatenorden angeschlossen hatte, vom Blitz erschlagen bei Regensburg in einem Wald. Man fand bei ihm Instruktionen des Ordens, die bayerische Regierung griff ein, man entdeckte, dass Weishaupt ein Komplott gegen die Regierung schmiedete, und im Jahr darauf wurde der Orden verboten. Und nicht nur das, man publizierte auch Schriften von Weishaupt, Schriften mit den angeblichen Projekten der Illuminaten, die das ganze deutsche und französische Neutemplertum für ein Jahrhundert diskreditierten... Beachten Sie, dass Weishaupts Illuminaten höchstwahrscheinlich auf Seiten der jakobinischen Freimaurer standen und sich in die neutemplerische Strömung eingeschleust hatten, um sie zu zerstören. Es war gewiss kein Zufall, dass jener böse Geist den Grafen Mirabeau, den Tribun der Revolution, auf seine Seite gezogen hatte. Darf ich Ihnen etwas im Vertrauen sagen?«
    »Bitte.«
    »Männer wie ich, die daran interessiert sind, die Fäden einer verlorenen Überlieferung wieder zusammenzuknüpfen, stehen verwirrt vor einem Ereignis wie dem Konvent zu Wilhelmsbad. Jemand muß da alles erraten, aber geschwiegen haben, jemand hat da Bescheid gewusst und gelogen. Und danach war's zu spät, erst das revolutionäre Durcheinander, dann die klaffende Meute der Okkultisten... Schauen Sie sich Ihre Liste an, eine Kirmes der Gutgläubigkeit und der Betrügerei, Intrigen, gegenseitige Exkommunikationen, Geheimnisse, die in aller Munde sind. Das Theater des Okkultismus.«
    »Sie meinen, die Okkultisten sind nicht sehr vertrauenswürdig?« fragte Belbo.
    »Sie müssen den Okkultismus von der Esoterik unterscheiden. Die Esoterik ist die Suche nach einem Wissen, das sich nur durch Symbole tradiert, die für Nichteingeweihte

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