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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Polizeiaufgebot, aber wie es schien, war man übereingekommen, die Sache laufen zu lassen. Typisch für jene Zeiten: eine nicht genehmigte Demonstration, aber solange nichts Schlimmes passierte, würde die Ordnungsmacht sich damit begnügen, zuzuschauen und aufzupassen, dass die Linke (damals gab es viele territoriale Kompromisse) gewisse Grenzen nicht überschritt, die ideell durch das Zentrum von Mailand gezogen waren. Im südlichen Teil der Altstadt dominierte die Protestbewegung, jenseits des Largo Augusto und in der ganzen Zone um Piazza San Babila hielten sich die Faschisten auf. Wenn jemand die Grenze übertrat, gab es Zwischenfälle, aber sonst passierte nichts, wie zwischen Dompteur und Löwe. Wir glauben gewöhnlich, dass der Dompteur vom wütenden Löwen angegriffen wird, den er dann bändigt, indem er die Peitsche schwingt oder einen Pistolenschuss abgibt. Irrtum: der Löwe ist schon satt und mit Drogen besänftigt, wenn er in die Arena kommt, und will niemanden angreifen. Wie jedes Tier hat er rings um sich eine bestimmte Sicherheitszone, außerhalb welcher passieren kann, was will, ohne dass er sich rührt. Wenn der Dompteur einen Fuß in die Zone des Löwen setzt, faucht der Löwe, dann hebt der Dompteur die Peitsche, aber in Wirklichkeit macht er einen Schritt rückwärts (als nähme er Anlauf zu einem Sprung), und der Löwe beruhigt sich wieder. Eine simulierte Revolution muss ihre eigenen Regeln haben.
    Ich war zu der Demonstration gegangen, aber ohne mich einer bestimmten politischen Gruppe anzuschließen. Ich blieb am Rande, auf der Piazza Santo Stefano, wo sich die Unorganisierten trafen, Zeitungs- und Verlagsleute, Intellektuelle und Künstler, die gekommen waren, ihre Solidarität zu beweisen. Die ganze Blase aus Pilades Bar.
    Unversehens fand ich mich neben Belbo. Er war in Begleitung einer Frau, mit der ich ihn öfter in der Bar gesehen hatte, sodass ich annahm, sie wäre seine Freundin (sie verschwand später — heute weiß ich warum, nachdem ich die Geschichte in dem file über Doktor Wagner gelesen habe).
    »Sie auch hier?«, fragte ich.
    »Was wollen Sie?« Er lächelte verlegen. »Man muss doch was für sein Seelenheil tun. Crede firmiter et pecca fortiter ... (Glaube fest und sündige kräftig …) Erinnert Sie diese Szene hier nicht an etwas?«
    Ich sah mich um. Es war ein sonniger Nachmittag, einer von jenen Tagen, an denen Mailand schön ist, mit seinen gelben Fassaden unter einem zart metallblauen Himmel. Die Polizei vor uns war eingepanzert in ihren Helmen und Schilden aus Plastik, die stählern zu schimmern schienen, während ein Kommissar in Zivil, aber mit einer grellen Trikolorenschärpe um den Leib, die Front der Seinen abschnitt. Ich blickte hinter mich auf die Spitze des Zuges: die Demonstranten hatten sich in Bewegung gesetzt, aber gemessenen Schrittes, die Reihen waren dicht, aber unregelmäßig, fast Serpentinen, die Masse erschien wie stachelborstig mit ihren Fahnen, Standarten, Stangen und Transparenten. Ungeduldige Grüppchen stimmten rhythmische Sprechchöre an. Längs der Flanken des Zuges patrouillierten die sogenannten Katangas, vermummte Kämpfer mit roten Tüchern vor dem Gesicht, knallbunten Hemden und breiten nägelbeschlagenen Gürteln über Jeans, die durch alle Winde und Wetter gegangen waren; auch die langen Schlagstöcke, die sie in der Hand trugen, getarnt als zusammengerollte Fahnen, erschienen wie Elemente einer Palette, ich dachte unwillkürlich an Dufy und seine heiteren Farben. Von Dufy kam ich per Assoziation auf Guillaume Dufay. Ich hatte den Eindruck, in einer alten Miniatur zu leben, unter den Neugierigen am Straßenrand glaubte ich ein paar Damen zu sehen, androgyne Gestalten, die auf das große Fest der Kühnheit warteten, das ihnen verheißen war ... All dies schoss mir blitzartig durch den Sinn, ich hatte irgendwie ein Gefühl von deja vu, als erblickte ich etwas Altbekanntes, nur wusste ich nicht, was es war.
    »Ist das nicht die Einnahme von Askalon?«, fragte Belbo.
    »Bei Gott und Messire Saint-Jacques!«, rief ich aus. »Sie haben recht, es ist wirklich das Kreuzfahrerheer! Ich bin sicher, dass einige von diesen heute Abend im Paradies sein werden!«
    »Ja«, sagte Belbo, »die Frage ist nur, auf welcher Seite die Sarazenen sind.«
    »Die Polizei ist teutonisch«, stellte ich fest, »so teutonisch, dass wir die Horden von Alexander Newski sein könnten, aber vielleicht bringe ich meine Texte durcheinander. Sehen Sie dort die Gruppe, das

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