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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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geführt und von diesen gefragt, ob er den Orden verteidigen wolle, nein, das wolle er nicht, und so ihn die Meister verteidigen wollten, sollten sie das nur tun, aber er sei vor der Verhaftung nur ganze neun Monate lang im Orden gewesen.
    Aussage am 27.11.1309
     
    Unter Abulafias files hatte ich einen Text gefunden, der von drei anderen Fluchten erzählte. Daran dachte ich vorgestern Abend im Periskop, als ich es im Dunkeln knacken, knistern und rascheln hörte — und mir sagte, bleib ruhig, das ist die Art, wie Museen, Bibliotheken, alte Paläste nachts miteinander sprechen, das sind nur Schränke, die sich setzen, Rahmen, die auf die abendliche Feuchtigkeit reagieren, langsam abbröckelnder Putz und rissig werdendes Mauerwerk. Du kannst nicht fliehen, sagte ich mir, denn schließlich bist du ja hergekommen, um zu erfahren, was mit einem geschehen ist, der versucht hat, einer Reihe von Fluchten ein Ende zu setzen, indem er einen Akt sinnlosen (oder verzweifelten) Mutes beging, vielleicht um jene so oft hinausgeschobene Begegnung mit der Wahrheit herbeizuzwingen.
    Filename: Canaletto
    Bin ich vor einem Polizeiangriff weggelaufen, oder erneut vor der Geschichte? Und was wäre der Unterschied? Bin ich aus moralischen Gründen zur Demonstration gegangen, oder um mich ein weiteres Mal vor der GELEGENHEIT auf die Probe zu stellen? Sicher, ich habe die großen Gelegenheiten verpasst, weil ich zu früh gekommen war, oder zu spät, aber schuld war mein Geburtsjahr. Ich wäre gern auf jenem Maisfeld gewesen, um zu schießen, auch auf die Gefahr hin, dabei meine Großmutter zu treffen. Ich war nicht aus Feigheit abwesend, sondern aus Altersgründen. D'accord. Und bei der Demonstration? Da bin ich erneut aus Altersgründen geflohen, dieser Kampf ging mich nichts an. Aber ich hätte ein Risiko eingehen können, auch ohne Enthusiasmus, nur um mir zu beweisen, dass ich damals auf dem Maisfeld zu wählen gewusst hätte. Hat es Sinn, die falsche Gelegenheit zu wählen, um sich zu überzeugen, dass man die richtige gewählt hätte? Wer weiß, wie viele von denen, die sich heute dem Kampf gestellt haben, es so machten. Aber eine falsche Gelegenheit ist nicht die GELEGENHEIT.
    Kann man feige sein, weil einem scheint, dass der Mut der andern in keinem Verhältnis zur Nichtigkeit des Anlasses steht? Wenn ja, dann macht Klugheit feige. Und so verpasst man die gute Gelegenheit, wenn man das Leben damit verbringt, auf sie zu lauern und über sie nachzugrübeln. Die Gelegenheit ergreift man instinktiv, und im Augenblick weiß man noch nicht, dass es die GELEGENHEIT ist. Vielleicht habe ich sie ja schon einmal ergriffen und weiß es bloß nicht? Wie kommt man dazu, ein schlechtes Gewissen zu haben und sich als Feigling zu fühlen, bloß weil man im falschen Jahrzehnt geboren ist? Antwort: du fühlst dich als Feigling, weil du einmal ein Feigling gewesen bist.
    Und wenn ich auch damals der GELEGENHEIT ausgewichen wäre, weil ich sie als inadäquat empfand?
    Das Haus in *** beschreiben, wie es einsam auf dem Hügel zwischen den Weingärten steht — sagt man nicht, die Hügel hätten die Form von Brüsten? —, und dann die Straße, die zu den Ausläufern des Dorfes hinunterführt, zu den letzten Häusern am Rande der Siedlung — oder den ersten (klar, das wirst du nie wissen, solange du keinen Standpunkt wählst). Den kleinen Evakuierten beschreiben, wie er den Schutz der Familie verlässt und sich hinunterwagt in die verstreute Ortschaft, wie er durch die Hauptstraße schleicht, ängstlich und neidisch vorbei am Viottolo.
    Der Viottolo war der Versammlungsort der Viottolobande. Schmutzige laute Jungen vom Lande. Ich war zu städtisch, ich blieb ihnen besser fern. Aber um zur Piazza zu gelangen, mit dem Kiosk und dem Papierwarenladen, blieb mir nichts anderes übrig, wenn ich nicht einen geradezu kontinentalen und schmachvollen Umweg machen wollte, als über den Canaletto zu gehen. Die Jungs vom Viottolo waren kleine Aristokraten im Vergleich zu denen der Canalettobande, benannt nach einem kanalisierten Bach, der durch die ärmste Gegend der Siedlung floss. Die vom Canaletto waren wirklich verdreckt, subproletarisch gemein und brutal.
    Die vom Viottolo konnten die Zone der Canalettos nicht durchqueren, ohne attackiert und verprügelt zu werden. Am Anfang wusste ich noch nicht, dass ich zum Viottolo gehörte, ich war gerade erst angekommen, aber die vom Canaletto hatten mich gleich als Feind identifiziert. Ich schlenderte durch ihr Gebiet

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