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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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mit einer aufgeschlagenen Zeitung vor der Nase, so einer kleinen bunten Kinderzeitung, in der ich beim Gehen las, und sie hatten mich sofort im Visier. Ich fing an zu rennen und sie hinterher, sie schmissen mit Steinen, einer davon durchschlug die Zeitung, die ich im Rennen weiter aufgeschlagen hielt, um eine Art Haltung zu bewahren. Ich konnte mich retten, aber die Zeitung war hin. Am nächsten Tag beschloss ich, in die Viottolobande einzutreten.
    Ich präsentierte mich in ihrer Ratsversammlung und wurde mit Gewieher empfangen. Damals hatte ich dichtes, tendenziell senkrechtstehendes Haar, fast wie der Typ in der Reklame für die Buntstifte von Presbitero. Die Vorbilder, die mir das Kino, die Werbung und die Sonntagsspaziergänge nach der Messe boten, waren Jünglinge in schulterwattierten Zweireihern mit schmalen Lippenbärtchen und glatt anliegendem pomadisierten Haar. Damals nannte man die straff zurückgebürstete Frisur im Volksmund die mascagna. Ich wollte eine mascagna. Also kaufte ich mir auf der Piazza am Montag, wenn Markt war, für lächerliche Summen im Vergleich zur Lage der Aktienbörse, aber enorme für mich, Tuben mit einer körnigen Brillantine, hart wie Kunsthonig, und verbrachte Stunden damit, sie in meine widerspenstigen Haare zu streichen, bis sie glatt wie eine Kappe anlagen. Dann zog ich ein Netz darüber, um sie glattzuhalten. Die Jungs vom Viottolo hatten mich schon ein paarmal mit dem Netz gesehen und mir spöttische Wörter nachgerufen in ihrem rauen Dialekt, den ich einigermaßen verstand, aber nicht sprach. An jenem Tag, nachdem ich zwei Stunden mit dem Netz im Haus verbracht hatte, nahm ich es ab, überprüfte den süperben Effekt im Spiegel und begab mich zum Treffen mit denen, welchen ich Treue zu schwören gedachte. Als ich eintraf, hatte die Brillantine bereits ihre glutinöse Funktion beendet und mein Haar begonnen, sich wieder in seine vertikale Position aufzurichten, aber in Zeitlupe. Große Begeisterung bei den Viottolos, die mich umringten und sich auf die Schenkel schlugen. Ich bat um Aufnahme in ihre Bande.
    Leider sprach ich italienisch: ich war eben ein Andersartiger. Der Anführer trat vor, ein Junge namens Martinetti, der mir groß wie ein Turm vorkam, schimmernd mit nackten Füßen. Er entschied, dass ich hundert Tritte in den Hintern erdulden müsse. Vielleicht sollten sie die Schlange Kundalini wecken. Ich willigte ein. Stellte mich an die Mauer, rechts und links an den Armen von zween Mareschallen gehalten, und erduldete hundert Tritte mit nacktem Fuß. Martinetti erfüllte seine Aufgabe mit Enthusiasmus, Kraft und Methode, er trat nicht mit der Fußspitze zu, sondern mit dem Ballen, um sich nicht die Zehen zu verletzen. Das Ritual wurde rhythmisch vom Chor der Bandenmitglieder begleitet. Sie zählten die Tritte im Dialekt. Dann beschlossen sie, mich in einen Kaninchenstall einzusperren, für eine halbe Stunde, während welcher sie sich in gutturalen Gesprächen ergingen. Schließlich ließen sie mich raus, als ich über das Kribbeln in meinen erstarrten Beinen klagte. Ich war stolz auf mich, denn ich hatte die wilde Liturgie einer wilden Gruppe mit Würde bestanden. Ich war ein Mann, den sie Pferd nannten.
    Damals gab es in *** auch teutonische Recken, nicht sehr wachsame, denn die Partisanen hatten sich noch nicht bemerkbar gemacht — es war so gegen Ende 43 oder Anfang 44. Eine unserer ersten Unternehmungen war, uns in eine Baracke einzuschleichen, während draußen ein paar Genossen den Wachposten umschmeichelten, so einen blonden Langobarden, der ein enormes Brötchen verzehrte, mit — so schien uns, und wir erschauerten — Salami und Marmelade. Der Störtrupp bezirzte den Deutschen, indem er seine Waffen lobte, und wir andern in der Baracke (in die man von hinten eindringen konnte) raubten derweilen einige Brötchen mit Sprengstoff. Ich glaube nicht, dass der Sprengstoff je benutzt worden ist, aber in Martinettis Plänen ging es darum, ihn draußen auf dem Feld hochgehen zu lassen, zu pyrotechnischen Zwecken und, wie ich heute weiß, mit sehr primitiven, inadäquaten Methoden. Später folgten dann auf die Deutschen die italienischen Partisanenbekämpfer der Decima Mas (sie waren hart, die faschistischen Ledernacken, aber nicht so brutal wie die Schwarzen Brigaden, die auch Kriminelle aus den Gefängnissen rekrutierten und skrupellos gegen die Zivilbevölkerung vorgingen). Sie hatten einen Kontrollposten unten am Fluss eingerichtet, genau an der Kreuzung, wo

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