Das Foucaultsche Pendel
dass es im Augenblick besser sei, angesichts der Delikatheit des Falles keine Namen zu nennen.
»Doktor Belbo«, sagte er dann, »hier auf diesen Seiten habe ich das Material für eine Geschichte. Eine wahre. Und keine banale. Besser als die amerikanischen Kriminalromane. Ich habe etwas gefunden, etwas sehr Wichtiges, aber es ist nur der Anfang. Ich möchte öffentlich mitteilen, was ich weiß, damit diejenigen, die dieses Puzzlespiel vervollständigen können, es lesen und sich bemerkbar machen. Ich möchte einen Köder auswerfen. Und ich muss es unverzüglich tun. Derjenige, der vor mir in Erfahrung gebracht hatte, was ich heute weiß, ist vermutlich umgebracht worden, eben damit er sein Wissen nicht verbreiten konnte. Wenn ich das, was ich weiß, zweitausend Lesern sage, wird niemand mehr daran interessiert sein, mich aus dem Weg zu räumen.« Er machte eine Pause. »Die Herren wissen etwas über die Verhaftung der Templer?«
»Herr Casaubon hat mir kürzlich davon erzählt, und es hat mich frappiert, dass sich die Templer so widerstandslos verhaften ließen und offenbar nichts ahnten ...«
Der Oberst lächelte mitleidig. »In der Tat. Es ist kindisch zu glauben, dass Leute, die so mächtig waren, dass der König von Frankreich vor ihnen zitterte, nicht in der Lage gewesen sein sollten, rechtzeitig in Erfahrung zu bringen, dass vier Halunken den König gegen sie aufhetzten und dass der König daraufhin den Papst aufhetzte. Nein, ich bitte Sie! Da muss es doch einen Plan gegeben haben. Und zwar einen weitreichenden, hochgespannten, ja erhabenen Plan. Nehmen Sie an, die Templer hätten einen Plan zur Eroberung der Welt gehabt und das Geheimnis einer immensen Machtquelle gekannt, ein Geheimnis, für das kein Opfer zu groß war, für dessen Bewahrung es sich sogar lohnte, das ganze Pariser Hauptquartier aufzugeben, die über ganz Frankreich, Spanien, Portugal, England, Italien verstreuten Güter, und die Burgen im Heiligen Land, die monetären Guthaben, alles ... Philipp der Schöne muss es geahnt haben, warum sonst sollte er eine Verfolgung auslösen, die schließlich die Blüte der französischen Ritterschaft in Misskredit brachte. Die Templer begreifen, dass der König begriffen hat und sie zu vernichten trachtet, es hat keinen Sinn, ihm frontal entgegenzutreten, der Plan erfordert Zeit, der Schatz, oder was immer es gewesen sein mag, muss erst noch genauer lokalisiert werden, oder man kann ihn nur langsam ausbeuten ... Und die geheime Führung des Tempels, deren Existenz mittlerweile alle einräumen ...«
»Alle?«
»Gewiss. Es ist undenkbar, dass ein so mächtiger Orden so lange überleben konnte, ohne ein geheimes Führungsgremium zu haben.«
»Das Argument ist makellos«, sagte Belbo mit einem Seitenblick zu mir.
»Ergo«, fuhr der Oberst fort, »sind auch die Folgerungen evident. Der Großmeister gehört natürlich zur geheimen Führung, ist aber nur die Deckung nach außen, das Aushängeschild. Gauthier Walther sagt in seinem Buch La chevalerie et les aspects secrets de l'histoire, der Welteroberungsplan der Templer habe als Endziel das Jahr Zweitausend anvisiert! Die Templer beschließen also, in den Untergrund zu gehen, und um das tun zu können, ist es erforderlich, dass der Orden in den Augen der Welt verschwindet. Sie opfern sich, das ist es, was sie tun, samt ihrem Großmeister. Einige lassen sich umbringen, vermutlich hat man sie ausgelost. Andere unterwerfen sich, tarnen sich durch den Eintritt in andere Orden. Wo landen die unteren Ränge? Die Laienbrüder, die Bau- und Zimmerleute, die Glaser ...? Nun, so entsteht die Zunft der Freien Maurer, die sich über die Welt verbreitet, man kennt die Geschichte. Doch was geschieht in England? Der König widersetzt sich dem Druck des Papstes und gestattet den Templern, ihr Leben friedlich in ihren Ordensburgen zu beenden. Und die Templer in Frankreich lassen sich alles brav und bieder gefallen! Schlucken Sie das? Ich nicht. In Spanien beschließt der Orden, den Namen zu ändern, und wird zum Orden von Montesa. Tja, meine Herren, das waren Leute, die einen König zu überzeugen vermochten, die so viele Wechsel in ihren Tresoren hatten, dass sie ihn binnen einer Woche in den Bankrott hätten treiben können. Auch der König von Portugal ist kompromissbereit: Hört zu, liebe Freunde, sagt er, nennt euch fortan nicht mehr Ritter des Tempels, sondern Ritter Christi, und ich bin's zufrieden. Und in Deutschland? Kaum Prozesse, rein formale Abschaffung des
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