Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
außergewöhnlich scharfsinnig«, sagte Agliè. »Aber ich beschwöre Sie, mir nicht zu glauben. Denn wenn ich Ihnen im staubigen Glanz meiner Jahrhunderte erschiene, würde Ihre Schönheit mit einem Schlage verwelken, und das könnte ich mir nicht verzeihen.«
    Amparo war erobert, und mich durchzuckte ein Anflug von Eifersucht. So brachte ich das Gespräch auf die Kirchen und auf den Sankt Georg-Oxossi, den wir gesehen hatten. Agliè sagte, wir müssten unbedingt einen Candomblé erleben. »Aber gehen Sie nicht dahin, wo man Ihnen Geld abverlangt. Die echten Orte sind die, wo man Sie empfängt, ohne irgendetwas von Ihnen zu verlangen, nicht einmal, dass Sie glauben. Respektvoll zuzuhören, das ja, mit der gleichen Toleranz für alle Glaubensformen, mit der man auch Ihren Unglauben akzeptiert. Einige Pais oder Mães-de-santo sehen aus, als wären sie direkt aus Onkel Toms Hütte entsprungen, aber sie haben die Bildung eines Theologen der Gregoriana.«
    Amparo legte ihre Hand auf die seine. »Bringen Sie uns hin! Ich bin vor vielen Jahren einmal in einem Umbanda-Zelt gewesen, aber ich habe nur vage Erinnerungen, ich erinnere mich nur an eine große Verwirrung ...«
    Die Berührung schien Agliè verlegen zu machen, aber er zog seine Hand nicht weg. Nur zog er, wie ich es ihn später in nachdenklichen Momenten tun sah, mit der anderen Hand aus der Westentasche eine kleine Dose aus Gold und Silber, vielleicht eine Tabatiere oder Pillendose, mit einem Achat auf dem Deckel. Auf dem Bartisch brannte eine Kerze, und als Agliè das Döschen wie zufällig in ihre Nähe brachte, sah ich, dass der Achat im Licht nicht mehr zu erkennen war, statt dessen erschien eine winzige Miniatur, in Blaugrün und Gold, die ein Hirtenmädchen mit einem Blumenkorb zeigte. Agliè drehte das Döschen mit zerstreuter Andacht zwischen den Fingern wie einen Rosenkranz. Dann bemerkte er mein Interesse, lächelte und steckte es wieder weg.
    »Verwirrung? Ich hoffe nicht, mein schönes Fräulein, dass Sie außer scharfsinnig auch übertrieben empfindsam sind. Eine erlesene Qualität, wenn sie sich mit Anmut und Intelligenz verbindet, aber gefährlich für Leute, die sich an gewisse Orte begeben, ohne zu wissen, was sie dort suchen und was sie dort finden werden ... Und außerdem, bitte verwechseln Sie nicht den Umbanda mit dem Candomblé. Dieser ist ganz und gar autochthon, afro-brasilianisch, wie man zu sagen pflegt — jener ist eine späte Blüte, entstanden aus einer Kreuzung von eingeborenen Riten mit der esoterischen Kultur aus Europa, geprägt von einer Mystik, die ich templerisch nennen würde ...«
    Die Templer hatten mich wieder. Ich sagte Agliè, dass ich über sie gearbeitet hatte. Er sah mich interessiert an. »Kurioser Zufall, mein junger Freund, hier unter dem Kreuz des Südens einen jungen Templer zu finden ...«
    »Ich hoffe nicht, dass Sie in mir einen Adepten sehen ...«
    »Um Gottes willen, Signor Casaubon! Wenn Sie wüssten, was für Gesindel es unter denen gibt.«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    »Nun denn. Ich muss jetzt gehen. Aber wir müssen uns wiedersehen, bevor Sie abreisen.« Wir verabredeten uns für den nächsten Tag: wir wollten alle drei den überdachten Markt am Hafen besuchen.
    Dort trafen wir uns in der Tat am folgenden Morgen wieder, und es war ein Fischmarkt, ein arabischer Suk, ein Basar, der krebsartig zu wuchern begonnen hatte, ein Lourdes, überschwemmt von den Kräften des Bösen, wo Regenzauberer mit ekstatischen stigmatisierten Kapuzinern zusammenleben konnten, zwischen Medizinbeuteln mit eingenähten Gebeten, Händchen aus Jade, die obszöne Gesten machten, Korallenamuletten gegen den bösen Blick, Kruzifixen, Davidssternen, Sexualsymbolen vorjüdischer Religionen, Hängematten, Teppichen, Börsen, Sphingen, heiligen Herzen, Bororo-Köchern, Muschelketten. Die degenerierte Mystik der Europäer verschmolz mit der qualifizierenden Wissenschaft der Sklaven, genauso wie die Haut jedes Anwesenden eine Geschichte verlorener Genealogien erzählte.
    »Hier sehen Sie ein Inbild dessen«, sagte Agliè, »was die Ethnologen den brasilianischen Synkretismus nennen. Hässliches Wort, im Verständnis der offiziellen Wissenschaft. Aber in seinem höchsten Sinn ist der Synkretismus die Anerkennung einer einzigen Tradition, die alle Religionen durchzieht und nährt, alle Glaubens- und Wissensformen und alle Philosophien. Der Weise ist nicht derjenige, der diskriminierend unterscheidet, sondern der die Funken des Lichtes

Weitere Kostenlose Bücher