Das fremde Gesicht
keine Begabung für Naturwissenschaften.«
Sie war erleichtert, die Anspannung aus dem Gesicht ihrer Mutter weichen zu sehen.
Helene Petrovic schluckte nervös, als sie um Mitternacht den letzten ihrer Koffer packte. Sie ließ nur ihre Toilettenartikel und das, was sie am nächsten Morgen anziehen würde, draußen. Sie konnte es nicht abwarten, all das hinter sich zu lassen. Sie war in letzter Zeit so schreckhaft. Die Belastung war einfach zu groß geworden, entschied sie. Es war an der Zeit, Schluß damit zu machen.
Sie hob den Koffer vom Bett hoch und stellte ihn zu dem übrigen Gepäck. Von der Eingangshalle her drang das schwache Klicken einer Drehung im Schloß zu ihr vor. Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund, um einen Schrei abzudämpfen. Er sollte doch heute abend nicht kommen.
Sie wandte sich um, um ihm ins Gesicht zu sehen.
»Helene?« Sein Tonfall war höflich. »Wolltest du dich denn gar nicht verabschieden?«
»Ich … ich wollte dir schreiben.«
»Das wird jetzt nicht mehr nötig sein.«
Mit der rechten Hand langte er in seine Tasche. Sie sah Metall aufblitzen. Dann griff er nach einem der Kissen vom Bett und hielt es vor sich hin. Helene blieb keine Zeit für einen Fluchtversuch. Brennender Schmerz explodierte in ihrem Kopf. Die Zukunft, die sie so sorgfältig vorbereitet hatte, verschwand mit ihr in die Finsternis.
Um vier Uhr früh riß das Klingeln des Telefons Meghan aus dem Schlaf. Sie tastete nach dem Hörer.
Eine kaum vernehmbare, heisere Stimme flüsterte:
»Meg.«
»Wer ist das?« Sie hörte es klicken und wußte, daß ihre Mutter den Nebenapparat abnahm.
»Es ist Daddy, Meg. Ich steck’ in Schwierigkeiten. Ich hab’ was Furchtbares getan.«
Ein unterdrücktes Aufstöhnen ließ Meg den Hörer aufknallen und zum Zimmer ihrer Mutter hinüberstürzen.
Catherine Collins war auf das Kissen gesunken, aschfahl ihr Gesicht, die Augen geschlossen. Meg packte sie an den Armen. »Mom, das ist irgendein kranker, verrückter Idiot«, sagte sie eindringlich. »Mom!«
Ihre Mutter hatte das Bewußtsein verloren.
17
Um halb acht am Dienstag morgen sah Mac seinem Sohn zu, wie er auf den Schulbus sprang. Dann stieg er in seinen Wagen, um nach Westport zu fahren. Ein frostiger Wind lag in der Luft, und Macs Brille beschlug. Er nahm sie ab, säuberte sie rasch und wünschte sich unwillkürlich, einer der Glücklichen mit Kontaktlinsen zu sein, deren lächelnde Mienen ihm von Werbepostern herunter Vorhaltungen machten, wann immer er seine Brille in Ordnung bringen ließ oder eine neue kaufte.
Als er um die Straßenbiegung fuhr, stellte er zu seinem Erstaunen fest, daß Megs weißer Mustang gerade in ihre Auffahrt einscherte. Er hupte kurz, und sie bremste ab.
Er fuhr neben sie. Gleichzeitig ließen sie beide die Scheiben herunter. Sein fröhliches »Was treibst du denn da?« erstarb ihm auf den Lippen, als er sich Meghan genau anschaute. Ihr Gesicht war angespannt und blaß, ihr Haar zerzaust, und ein gestreiftes Pyjama-Oberteil war zwischen den Aufschlägen ihres Regenmantels sichtbar.
»Meg, was ist passiert?« fragte er nachdrücklich.
»Meine Mutter ist im Krankenhaus«, entgegnete sie mit tonloser Stimme.
Ein Auto näherte sich hinter ihr. »Fahr zu«, sagte er.
»Ich fahr’ dir nach.«
In der Einfahrt beeilte er sich, Meg die Fahrertür aufzuhalten. Sie erschien ganz benommen. Wie schlimm steht es um Catherine? dachte er voller Sorge. Auf der Eingangsveranda nahm er Meg die Hausschlüssel aus der Hand.
»Komm, laß mich mal machen.«
Drinnen in der Vorhalle legte er ihr die Hände auf die Schultern. »Erzähl’s mir.«
»Sie haben zuerst gedacht, sie hätte einen Herzanfall gehabt. Zum Glück haben sie sich getäuscht, aber es besteht die Möglichkeit, daß sie auf einen zusteuert. Sie bekommt Medikamente, um dagegen vorzubeugen. Sie muß mindestens eine Woche im Krankenhaus bleiben. Die haben gefragt – hör gut zu –, ob sie irgendwelchen Streß gehabt habe?« Ein verunsichertes Auflachen schlug in unterdrücktes Schluchzen um. Sie schluckte und wich zurück. »Mir geht’s gut, Mac. Die Tests haben so weit keinen Herzschaden festgestellt. Sie ist erschöpft, todunglücklich und hat Sorgen. Was sie braucht, sind Ruhe und ein paar Beruhigungsmittel.«
»Das finde ich auch. Würde dir auch nicht schaden.
Komm. Du könntest eine Tasse Kaffee gebrauchen.«
Sie folgte ihm in die Küche. »Ich mach’ ihn.«
»Setz dich hin. Willst du nicht den Mantel
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