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Das fremde Gesicht

Titel: Das fremde Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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ausziehen?«
    »Ich friere immer noch.« Sie versuchte zu lächeln. »Wie kannst du nur an so einem Tag ohne Mantel rausgehen?«
    Mac blickte auf sein graues Tweed-Jackett herab. »Bei meinem Mantel ist ein Knopf lose. Ich kann mein Nähzeug nicht finden.«
    Als der Kaffee fertig war, schenkte er für jeden von ihnen eine Tasse ein und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
    »Wo Catherine im Krankenhaus liegt, wirst du vermutlich eine Weile über Nacht hierbleiben.«
    »Das hatte ich sowieso vor.« Ruhig erzählte sie ihm all das, was vorgefallen war: von dem Opfer, das ihr ähnlich sah, der Notiz, die man bei der Frau in der Tasche gefunden hatte, dem nächtlichen Fax. »Und deshalb«, erklärte sie, »will der Sender, daß ich vorläufig aus der Schußlinie bleibe, und mein Chef hat mir das Projekt mit der Manning Clinic zugewiesen. Und dann hat heute ganz in der Frühe das Telefon geklingelt, und …« Sie berichtete ihm von dem Anruf und dem Zusammenbruch ihrer Mutter.
    Mac hoffte, daß seiner Miene nicht der Schock anzumerken war, den er empfand. Zugegeben, Sonntag abend beim Essen war Kyle dabeigewesen. Sie wollte vielleicht in seiner Anwesenheit nichts sagen. Aber trotzdem – Meg hatte nicht einmal eine Andeutung gemacht, daß sie weniger als drei Tage zuvor eine ermordete Frau gesehen hatte, die möglicherweise an ihrer Stelle gestorben war. Genausowenig hatte sie Mac über die Entscheidung der Versicherungsleute informiert.
    Seit sie zehn Jahre alt und er in seinem zweiten College-Jahr war und begann, den Sommer über im Gasthof zu arbeiten, hatte sie ihm alle ihre Geheimnisse anvertraut, angefangen damit, wie sehr sie ihren Vater vermißte, wenn er weg war, bis dahin, wie sehr sie es haßte, Klavier zu üben.
    Die anderthalb Jahre von Macs Ehe waren die einzige Zeit, in der er die Collins’ nicht regelmäßig sah. Seit der Scheidung lebte er jetzt hier, inzwischen fast sieben Jahre, und war der Meinung, er und Meg seien wieder auf ihrer Basis von großem Bruder und kleiner Schwester. Wenn er sich da nicht täuschte, dachte er.
    Meghan schwieg jetzt, in ihre eigenen Gedanken versunken; eindeutig erhoffte sie weder, noch erwartete sie Hilfe oder Rat von ihm. Kyles Bemerkung fiel ihm wieder ein: Ich hab’ gedacht, wir wären Freunde. Die Frau, die Kyle mittwochs am Haus hatte vorbeifahren sehen, diejenige, die er für Meghan gehalten hatte: Konnte es sein, daß sie die Frau war, die einen Tag später starb?

    Mac beschloß auf der Stelle, Meghan gegenüber nichts zu erwähnen, bevor er am Abend Kyle darüber befragen und sich die Sache durch den Kopf gehen lassen konnte.
    Aber etwas anderes mußte er sie jetzt fragen. »Meg, verzeih mir, aber besteht auch nur die geringste Chance, daß es dein Vater war, der heute früh angerufen hat?«
    »Nein. Nein. Ich würde seine Stimme erkennen. Meine Mutter genauso. Was wir da gehört haben, klang unwirklich, nicht so schlimm wie eine Computerstimme, aber nicht normal.«
    »Er hat gesagt, er steckt in Schwierigkeiten.«
    »Ja.«
    »Und der Notizzettel in der Tasche des Mordopfers hatte seine Handschrift?«
    »Ja.«
    »Hat dein Vater je irgendwen namens Annie erwähnt?«
    Meghan starrte Mac an.
    Annie! Sie konnte ihren Vater hören, wie er sie frotzelnd rief: Meg … Meggie … Meghan Anne … Annie …
    Entsetzt dachte sie: Annie war immer sein Kosename für mich.

    18
    Am Dienstag morgen konnte Frances Grolier von den Vorderfenstern ihres Hauses in Scottsdale, Arizona, aus sehen, wie der erste Lichtschimmer die McDowell Mountains zu umreißen begann, ein Licht, von dem sie wußte, daß es stark und strahlend werden und ständig die auf jenen Felsmassen reflektierten Schattierungen, Töne und Farben ändern würde.
    Sie wandte sich um und ging durch den langen Raum zu den Hinterfenstern. Das Haus lag an der Grenze zu dem weitläufigen Reservat der Pima-Indianer und bot einen Blick auf die Wüste in ihrem Urzustand, öde und offen, vom Camelback Mountain gesäumt; Wüste und Berg leuchteten jetzt geheimnisvoll in dem schattenhaften rosafarbenen Glühen, das den Sonnenaufgang ankündigte.
    Mit sechsundfünfzig Jahren war es Frances irgendwie gelungen, etwas Ausgefallenes an ihrem Wesen zu bewahren, das gut zu ihrem schmalen Gesicht, der kräftigen Fülle braungrauer Haare und den großen faszinierenden Augen paßte. Sie machte sich nie die Mühe, die tiefen Falten um Augen und Mund mit Make-up abzumildern. Groß und rank, fühlte sie sich in langen Hosen und einem

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