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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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wollte nicht von jedem danach gefragt werden.«
    Sams Gedanken waren noch bei Lorraine Turner, die das Haus länger kannte als Selina, Jackie oder Connie. Lorraine hatte Bentley Grove 11 im Auftrag des Weihnachtsbaumpaars, Mr und Mrs Beater, an Selina Gane verkauft. Hatte sie auch dem Ehepaar Beater das Haus verkauft, als es gerade neu gebaut war, oder war das der Bauträger?
    »Ich habe zu Lorraine gesagt, du wirst dich im Krankenhaus oder in ihrem Hotel mit Dr. Gane treffen müssen«, fuhr Jackie fort. »Du brauchst sie gar nicht erst zu fragen, ob sie sich im Objekt mit dir trifft, hab ich gesagt – sie will nie wieder einen Fuß in das Haus setzen.«
    Grint ging zur Tür des Vernehmungszimmers. »Gehen wir doch und begrüßen Dr. Ganes Stalkerin«, schlug er vor. Jackie erhob sich. Ein empfindsamerer Mensch wäre jetzt vielleicht nervös gewesen. Sam jedenfalls war nervös. Er versuchte sich vorzustellen, wie Connie Bowskill zugab, das getan zu haben, aber es gelang ihm nicht. Dass sie es abstreiten würde, konnte er sich auch nicht vorstellen – wie sollte sie auch, wenn Jackie anklagend mit dem Finger auf sie wies? Wie Connie selbst angemerkt hatte, es war schwer, weiterhin etwas zu verdrängen, wenn das, wenn man zu verdrängen versuchte, vor einem ausgebreitet wurde und man zur direkten Konfrontation damit gezwungen war.
    Wenn es denn Verdrängung war. Ihm kam der Gedanke, dass Connie vielleicht gerissener war, als es schien. War sie eine so gute Schauspielerin? Ihre nur schwer zu ertragenden Angriffe auf ihren Mann vorhin waren widersprüchlich gewesen, sie hatte erst eine Anschuldigung erhoben, dann eine ganz andere. Sam hatte das auf Verwirrung und Panik zurückgeführt, aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Erst schien sie fest zu glauben, dass Kit sie für eine Mörderin hielt, und zu fürchten, dass er recht haben könnte. Sie hatte von Grint hören wollen, wie unmöglich es war, dass sie die Frau getötet und jede Erinnerung daran ausgelöscht hatte – sie hatte ihm die Worte praktisch in den Mund gelegt. Dann hatte sie ihren Kurs gänzlich geändert und behauptet, Kit glaube gar nicht wirklich, dass sie jemanden getötet hätte, sondern er wolle sie nur glauben machen, dass er das denke – er wolle ihr die Furcht einflößen, sie könnte die Tat begangen haben, ohne die geringste Erinnerung daran zu haben.
    Beim Zuhören hatte Sam sich gefragt, wie sie diese beiden Verdächtigungen gleichzeitig hegen konnte. Er war zu dem Schluss gelangt, dass es ihre größte Angst war, vielleicht nicht mehr zu wissen, was sie tat. Lieber hielt sie ihren Mann für ein Ungeheuer.
    Seit dem Gespräch mit Jackie Napier hatte Sam eine andere Theorie. Es war kein Zufall, dass er sich am Schluss gefragt hatte, welche der beiden Alternativen zutraf: Kit der Lügner, Kit der Mörder, der versuchte, seine Frau in den Wahnsinn zu treiben, in der Hoffnung, ihr dann leichter ein Verbrechen anhängen zu können, das sie nicht begangen hatte – oder Connie, das unglückliche Opfer eines Nervenzusammenbruchs mit so schwerer psychischer Desintegration, dass sie für ihre Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden konnte. Es war kein Zufall, dass es nur eine Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu geben schien. Sams Aufmerksamkeit – und Grints – war geschickt von einer dritten Möglichkeit abgelenkt worden, der Möglichkeit, dass Connie bewusst und vorsätzlich eine Frau getötet hatte. Dass die gequälte Person, die sie der Welt präsentierte, eine sorgsam konstruierte Lüge war.
    Sam war hin- und hergerissen. Einerseits hätte er gern Grint zur Seite genommen und sich erkundigt, was die Spurensicherung herausgefunden hatte und was Selina Gane gesagt hatte, als sie zur Sache gehört worden war, denn davon, dass das geschehen war, ging Sam aus. Er hätte auch gern gewusst, ob die Vorbesitzer des Hauses, das Ehepaar Beater, den Fleck auf dem Teppichboden als den Fleck identifiziert hatte, der durch ihren Weihnachtsbaum entstanden war, oder ob Grint sich da auf Lorraine Turners Aussage verlassen hatte. Sam hätte das nicht getan. Ein paarmal war er schon drauf und dran gewesen, Grint darauf hinzuweisen, aber dann hatte er es sich anders überlegt. Nicht seine Zuständigkeit, nicht sein Problem.
    Es war Zeit, sich rauszuziehen und zu seinen eigenen, weit langweiligeren Fällen zurückzukehren. Je länger er die verschwindende Tote von Bentley Grove 11 mit Grint diskutierte, desto tiefer wurde er hineingezogen.

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