Das fremde Haus
Abneigung erstarrt. Es versetzte ihm einen Schock, was hatte er falsch gemacht?
»Sie finden, ich hätte merken müssen, dass sie es nicht war, wegen dem Pass. Oder? Wie dämlich muss die Frau sein, wenn sie nicht erkennt, dass das Foto jemand ganz anderen zeigt? Sie hatte daran gedacht. ›Früher habe ich mir das Haar blond gefärbt‹, sagte sie. Und es stand mir auch gut. Geben Sie’s zu, auf dem Foto sehe ich besser aus als in Wirklichkeit. Die meisten Leute sehen auf ihren Passfotos aus wie Serienmörder – ich sehe aus wie ein Filmstar. Schade, dass die Realität so dagegen abfällt.«
»Das waren ihre genauen Worte?«
»Nicht genau. An den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht mehr. Es ist über einen Monat her! Aber sie hat mir eindeutig irgendeinen Schmus von wegen der mangelnden Ähnlichkeit mit dem Foto aufgetischt. Der Teil mit dem Serienmörder und dem Filmstar stammt eindeutig von ihr. Oh, sie war schlau. Sie wusste, sie brauchte nur davon zu reden, dass kein Mensch so aussieht wie auf seinem Passfoto. Wenn sie mich dazu bringen würde, an all die Leute zu denken, bei denen das stimmte, würde sie mich nicht mehr überzeugen müssen – die Arbeit würde ich selbst erledigen. Das ist doch eins dieser Dinge, die jeder sagt, oder? ›Er sieht überhaupt nicht so aus wie auf seinem Passfoto, ein Wunder, dass es bei der Passkontrolle nie Probleme gibt.‹«
Sam musste zugeben, dass da etwas dran war.
»Wie wär’s, wenn ich Sie mit der Frau bekannt machen würde, die sich als Selina Gane ausgegeben hat – hier und heute?«, fragte Grint.
»Ich würde sie fragen, was zum Teufel sie vorhat.«
Grint nickte. »Ebendiese Frage würde ich ihr auch stellen. Gemeinsam schaffen wir es vielleicht, eine Erklärung aus ihr herauszubekommen.«
Sam gefiel gar nicht, was er da hörte. Jackie hatte Connie noch nicht als die Unbekannte identifiziert, der sie begegnet war. Warum tat Grint so, als wäre das schon geschehen, warum bot er ihr seine Unterstützung an? War es Taktik? Wenn er ernsthaft vorhatte, Jackie und Connie in einem Raum zusammenzubringen, wollte Sam nicht dabei sein. Außerdem gab es da noch etwas, was an ihm nagte, und es handelte sich dabei um keins der Dinge, von denen er wusste, dass sie ihm Sorgen machten. Er war sich plötzlich einer Irritation unter der Oberfläche seiner Gedanken bewusst geworden. Was konnte es nur sein? Vor einem Moment war es noch nicht dagewesen.
»Ich würde gern noch das Ende von Jackies Geschichte hören«, sagte er. »Sie standen also in Bentley Grove 11, mit dem Ehepaar French und einer verängstigten, verwirrten Dr. Gane. Was passierte dann?«
»Die Frenchs fuhren schnurstracks nach Hause, um meinen Chef anzurufen und sich bei ihm zu beschweren.« Jackie verdrehte die Augen. »Undankbare Arschlöcher – die haben nicht mal nachgefragt, nein, für die stand sofort fest, dass ich da was vermasselt hatte. Seitdem habe ich nicht mehr mit ihnen gesprochen. Wollte ich nicht.«
Also keine besseren Garagen und sonnigeren Gärten für das Ehepaar French, dachte Sam, nicht, wenn Jackie es verhindern konnte. Hatte sie sich nicht zu Beginn der Vernehmung als loyal bezeichnet? Nach Sams Erfahrung waren Leute, die ihre eigene Loyalität unterstrichen, damit häufig auf eine Art Gegenseitigkeit aus, notfalls durch Zwang. Fast immer gab es einen unausgesprochenen Vorbehalt: aber wehe, wenn du mich verärgerst oder im Stich lässt …
»Ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt, und Selina Gane drohte, die Polizei zu rufen. Ich konnte sie beruhigen, zumindest so weit, dass ich ihr erklären konnte, was passiert war. Sie war völlig aufgelöst – wer wäre das nicht? Ich ganz bestimmt, um ehrlich zu sein. Ich meine, es war ja nicht so, als wäre mir irgendwas Schlimmes zugestoßen, aber es kann einem schon einen ganz schönen Schrecken einjagen, wenn man von irgendeiner Verrückten getäuscht wird und nicht mal weiß warum. Ich begreife nur nicht, was das Ganze sollte – was wollte die Dunkelhaarige damit erreichen? Ihr muss doch klar gewesen sein, was passieren würde. Ich würde mit irgendwelchen Interessenten auftauchen und dabei zwangsläufig der echten Dr. Gane über den Weg laufen. Das musste doch irgendwann passieren, oder?«
Sam überlegte, ob der Zweck des Ganzen vielleicht gewesen war, Selina Gane eine Heidenangst einzujagen. Sollte sie sich vielleicht fragen: Wenn die Frau meines Freundes dazu fähig ist, wozu mag sie noch fähig sein?
»Hat Selina Gane
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