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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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Damit, dass er die Vernehmung von Jackie Napier übernommen hatte, war er einen Schritt zu weit gegangen. Er hätte sich weigern sollen. Warum hast du es dann nicht getan?, hätte seine Frau Kate gesagt – die sinnloseste Frage, die je formuliert worden war, und eine, die Kate regelmäßig stellte.
    Ich habe es nicht getan, weil ich es nicht getan habe.
    Als er hinter Grint und Jackie eine enge graue Treppe hinaufstieg, räumte Sam sich selbst gegenüber ein, dass ihm wohl nichts anderes übrig blieb, als Grint zu verraten, wie er sich mit Simon in Verbindung setzen konnte. Zumindest würde der klären können, ob Connie die Wahrheit gesagt hatte, als sie behauptete, mit ihm gesprochen zu haben. Simon würde sich ein Bild von ihrem Charakter gebildet haben, positiv oder negativ. Er würde nicht davor zurückscheuen, klar Stellung zu beziehen: verlässlich oder unehrlich, verrückt oder geistig gesund, Opfer oder Opfermacherin. Gut oder böse . Große Begriffe, mit denen Sam sich nicht wohlfühlte, Simon aber schon. Und er vertraute seinem eigenen Urteilsvermögen. Er war die Hilfe, die Grint brauchte. Jemand, der nicht ständig auswich, der nicht vor einer klaren Ansage zurückscheute. Oft schien es Sam, dass der Verstand der meisten Leute sich wie ein Manifest darstellte, das ihre Ansichten und Überzeugungen klar zutage treten ließ, während sein eigener Verstand eher wie ein Kasten für Verbesserungsvorschläge arbeitete, in den alle Seiten einer jeden Streitfrage hineingestopft wurden, die dann alle lautstark um Aufmerksamkeit buhlten und gleichberechtigt behandelt werden wollten: Sams Rolle beschränkte sich darauf, die widerstreitenden Behauptungen so unparteiisch wie möglich zu sortieren. Vielleicht war er deswegen ständig so müde.
    Er würde Simon in Spanien anrufen müssen, um ihn vorzuwarnen, dass Grint sich mit ihm in Verbindung setzen würde, das war nur fair. Klasse . Auf Anhieb fiel Sam nichts ein, was er weniger gern tun würde, als andere Leute auf ihrer Hochzeitsreise zu stören, und besonders nicht Charlie Zailer. Sie war nicht gerade für ihre versöhnliche Natur bekannt.
    Er bekam einen Schreck, als Grint die Tür des Vernehmungsraums öffnete und er die Bowskills sah. Beide schienen außer Atem zu sein. Connie sah aus, als hätte sie ununterbrochen geweint, während sie mit ihrem Mann allein gewesen war. Auf ihrer Hose waren graue Streifen, die sich vorher nicht dort befunden hatten. Was um alles in der Welt war hier passiert? Ein unerfreulicher, saurer Geruch hing in der Luft, den Sam weder beschreiben noch etwas Bekanntem zuordnen konnte.
    »Sam?« Connies Stimme war belegt. Ihr Blick war auf Jackie Napier gerichtet, aber nichts deutete darauf hin, dass sie die andere Frau erkannte. »Was ist los? Ist das die Frau, die es ebenfalls gesehen hat?«
    Wenn sie lügt, dachte Sam, dann ist die Lüge mittlerweile so notwendig für ihr Überleben wie Herz und Lungen. Connie würde daran festhalten, ganz gleich, was geschah, weil sie sich ein Leben ohne diese Lüge nicht mehr vorstellen konnte. Die meisten Lügner, mit denen Sam bei der Arbeit in Kontakt kam, zogen die Wegwerf-Variante vor – sie dachten sich eine Geschichte aus und tischten sie in der Hoffnung auf, dass ihnen das ein milderes Urteil einbringen würde, aber sie wussten sehr genau, dass sie Blech redeten. So definierten sie es sich selbst gegenüber. Sie waren ihren erfundenen Szenarien nicht emotional verbunden. Wenn man ihnen sagte, es gebe Beweise dafür, dass sie nicht zur angegebenen Zeit am angegebenen Ort gewesen waren, zuckten sie normalerweise nur mit den Achseln und meinten: »War einen Versuch wert, oder?«
    Sam stählte sich für die anstehende Konfrontation. Er spürte eine starke latente Aggression bei Jackie Napier, die stets auf der Suche nach einem legitimen Ventil war. Dass sie mit Connie Bowskill Schlitten fahren würde, verbal, wenn schon nicht körperlich, schien zweifelsfrei. Also warum die Verzögerung? Warum starrte sie die Bowskills nur schweigend an?
    Jackie wandte sich an Grint, den Mund ungeduldig verzogen. »Wer ist das?« Sie deutete auf Connie.
    Es dauerte ein, zwei Sekunden, bevor Grint antwortete. »Das ist nicht die Frau, die Ihnen Selina Ganes Pass gezeigt hat?«
    »Ich soll was getan haben?«, rief Connie.
    »Wovon zum Teufel reden Sie?« Kit wandte sich an Sam. »Was meint er denn damit?«
    »Nein«, erwiderte Jackie Napier gereizt. »Ich weiß nicht, wo Sie die Frau aufgegabelt haben, aber Sie

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