Das fremde Haus
in meinem Kopf lösen sich auf. Als ich wieder normal sehen kann, stelle ich fest, dass Fran und Kit bereit sind, von ihren Stühlen aufzuspringen und mich aufzufangen, aber sie brauchen sich keine Gedanken zu machen. Der Schwindelanfall ist vorbei, und er wird nicht wiederkommen. Ebenso wenig wie meine Lügen – ich werde aufhören, mir selbst etwas vorzulügen, und ich werde aufhören, anderen etwas vorzulügen. Ich bin es leid, mich selbst durch Unehrlichkeit zu vergiften.
Ich werfe Kit das Kleid ins Gesicht. »Das ist das Kleid, das die Tote trug«, sage ich.
Mutter, Vater und Fran protestieren lautstark. Ich höre »… blau und rosa … lächerlich … Befragung durch die Polizei, zu starke Belastung … kann gar nicht sein …«
»Das ist das Kleid, das sie trug«, wiederhole ich und halte den Blick auf Kit gerichtet. »Du weißt, dass es so ist. Deshalb hast du es mir gekauft – es gehört zu deinem Plan, mich zu zerstören.« Meine Mutter gibt ein Geräusch von sich wie ein Pferd, das auf jemanden losgeht. Ich ignoriere sie. »Ich sollte wohl so richtig wahnsinnig werden, oder?« Ich spucke Kit die Worte ins Gesicht. »Ich sollte zusammenbrechen, ich sollte kaputtgehen. Da es unmöglich sein kann, dass du mir das gleiche Kleid zum Geburtstag schenkst, dass eine ermordete Frau auf einem Foto trug, das ich im Netz gesehen habe, muss ich wohl verrückt sein, ich muss dabei sein, den Verstand zu verlieren – trifft es das so in etwa?«
»Warum ist Tante Connie so böse, Papa?«, will Benji wissen.
»Connie, denk doch mal darüber nach, was du da sagst.« Kit ist bleich im Gesicht. Er bedenkt meine Mutter mit einem kurzen Blick, der wahrscheinlich bedeuten soll: Willst du das wirklich vor ihr ausbreiten?
Das interessiert mich nicht mehr. Ich werde sagen, was ich zu sagen habe, ganz gleich, wer zufällig zuhört, ob es nun meine Mutter ist, mein Vater, der Papst oder die Königin von England.
»Du hast gesagt, das Kleid sei grün und mauve gewesen.« Kits Blick ist auf mich gerichtet, aber seine Worte sind nicht für mich bestimmt. Er will, dass unser Publikum mitbekommt, wie widersprüchlich und ungereimt meine Aussagen sind, ein Beweis für meinen Wahnsinn. »Dieses Kleid ist blau und rosa.«
»Grün und lila, das hast du gesagt, Con.« Fran ergreift seine Partei.
Ich schnappe mir meine Handtasche. Als ich den Raum verlasse, ruft meine Mutter hinter mir her: »Ich weiß nicht, was du damit erreichen willst, dass du wegläufst!« Ich habe es bereits erreicht. Ich bin weg.
***
»Es war haargenau dasselbe Muster«, erkläre ich Alice. »Das Kleid muss es in Grünlila und Blaurosa geben.«
Es ist mein zweiter Notfalltermin in weniger als einer Woche. Beim letzten Mal war ich besorgt, es könne ihr etwas ausmachen, dass ich mich ihr so aufdränge. Heute, ich kam gerade, als sie die Praxis schließen wollte, habe ich mich weder entschuldigt noch ihr eine Wahl gelassen. Sie müsse mich sehen, sagte ich.
»Die Frau, die im Bentley Grove ermordet wurde, trug ein Kleid aus einer kleinen unabhängigen Boutique, die alle Sachen selbst entwirft und nur eine einzige Filiale hat – in Silsford.« Ich schweige kurz, damit Alice nachvollziehen kann, was das bedeutet.
»Wir wollen die Linse ein wenig aufziehen.« Sie formt die Umrisse einer Kamera mit den Händen und zieht sie wieder zu sich heran. »Lassen wir das Kleid mal einen Augenblick beiseite …«
»Selbst meine Schwester glaubt Kit, dabei hält sie ihn für einen Lügner«, platze ich heraus. »Vorgestern hat sie zu mir gesagt, wenn ein Arzt bei mir nichts findet, kann er nicht sehr genau hingesehen haben.«
»Vergessen Sie Fran«, sagt Alice. »Ich möchte, dass wir über Sie und Kit reden. Niemand sonst ist wichtig. Sie sagen, Kit versucht, Sie in den Wahnsinn zu treiben. Warum sollte er so etwas tun?«
Ich mache den Mund auf und merke, dass ich nichts zu sagen habe. Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Ich gehe noch einmal alles durch: die Adresse im Navi, Kit, der abstreitet, irgendetwas darüber zu wissen, der virtuelle Rundgang durch Bentley Grove 11, die Leiche der Frau, die Polizei, Jackie Napier, die die Leiche ebenfalls gesehen hat, Fran, die bei Street View nachschaut und Kits Auto entdeckt, ich, wie ich Kits Geburtstagsgeschenk auspacke und dieses Kleid finde.
Ich erkenne fast alle Charaktere in dieser Geschichte: der wachsame, intelligente Simon Waterhouse, der freundliche, bescheidene Sam Kombothekra, die praktische, unsensible
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