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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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Fran, Selina Gane, zornig und verängstigt. Ich kann sogar Adjektive für Jackie Napier finden, die ich gerade mal fünf Minuten gesehen habe: scheinheilig, überheblich, langweilig. Und die tote Frau auf dem Teppich: Sie war tot, blutleer, ganz still. Das waren ihre herausstechenden Merkmale. Es gibt nur eine Person, die ich nicht fassen kann, so angestrengt ich es auch versuche.
    »Connie?«, drängt Alice.
    »Ich habe keine Ahnung, wer oder was Kit ist«, erwidere ich schließlich. »Es ist, als wäre er gar keine Person, sondern nur ein … Bild, oder ein Hologramm. Eine Ansammlung von Verhaltensweisen.«
    »Sie meinen, Sie trauen ihm nicht.«
    »Nein.« Es ist schwer, etwas zu beschreiben, das fehlt. Etwas Fehlendes hat nur dann klare Umrisse, wenn da früher mal was war, wenn man weiß, was sich früher an dieser Stelle befunden hat. »Es stimmt, ich traue ihm nicht, aber das meinte ich nicht. Wenn ich mit ihm zusammen bin, spüre ich keine … Persönlichkeit unter der Haut.« Ich zucke mit den Achseln. »Ich kann es nicht besser erklären, aber … das ist nichts Neues. Es fing nicht erst an, als ich die Adresse Bentley Grove 11 auf seinem Navi entdeckte. Ich weiß es seit Jahren, ich habe es mir nur nicht eingestanden.«
    Alice wartet darauf, dass ich fortfahre.
    »Als Student in Cambridge hat Kit sich in jemanden verliebt. Es ist ihm mal rausgerutscht, aber ich als nachhakte, machte er dicht und stritt alles ab. Er hat immer einen Groll gegen seine Eltern gehegt, aber er wollte mir nie verraten warum. Er tat so, als stimme es nicht, aber ich merkte es ihm an – ich hörte es an seiner Stimme, wenn er von ihnen sprach. Irgendwann hat er endgültig den Kontakt zu ihnen abgebrochen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er mir den wahren Grund dafür nicht genannt hat. Er hat gelogen.«
    »Und dann kam das Navigationssystem, sein Auto auf Street View, die Leiche der Frau, das Kleid.« Alice dreht ihren Drehstuhl zum Fenster herum. »Connie, normalerweise würde ich so etwas zu einem Patienten nicht sagen, aber jetzt tue ich es: Ich glaube, Sie haben recht, wenn Sie Kit nicht trauen. Ich habe keine Ahnung, was er getan hat, aber ich glaube, Sie sollten sich besser von ihm fernhalten.«
    »Das kann ich nicht. Selina Gane will nicht mit mir sprechen, und die Polizei wird nichts unternehmen. Ich kann nur herausfinden, was da vorgeht, wenn ich Kit überrede, mir die Wahrheit zu sagen. Was ist?«
    Sehe ich da Mitleid in ihren Augen?
    »Sie glauben, ich werde es niemals herausfinden, oder? Sie denken, ich sollte aufgeben.«
    »Ich weiß, dass Sie das nicht tun werden.« Sie lächelt mich an. »Das würde ich an Ihrer Stelle auch nicht tun.«
    »Bevor all das passierte, war ich wie Kit«, sage ich. »Ich war ebenfalls nicht wirklich. Jetzt habe ich ein Persönlichkeitsmerkmal: Ich bin die Frau, die nicht aufgeben wird.«
    »Sie waren nicht wirklich?«
    Ich weiß nicht, ob ich es werde erklären können, aber ich muss es versuchen, so verrückt es sich auch anhören mag. »2003, als Kit und ich in Cambridge nach einem Haus gesucht haben, fühlte ich mich irgendwie … nicht existent.«
    Alice wartet darauf, dass ich das näher ausführe.
    »Die meisten Leute haben eine Vorliebe für einen bestimmten Typ Haus: eine Villa im Stadtzentrum, ein Steincottage mitten im Nirgendwo. Manche Leute kaufen immer einen Neubau, andere würden nur ein Haus in Betracht ziehen, das mindestens hundert Jahre alt ist. Das Haus, das man sich aussucht, sagt etwas darüber aus, wer man ist. Als Kit mit mir in ein Dorf ganz in der Nähe von Cambridge fuhr, Lode hieß es, um dort ein Cottage zu besichtigen, dachte ich: Ja, vielleicht bin ich ein Mensch, der gern auf dem Land wohnt. Dann brachte Kit mich zu einer Penthouse-Wohnung an einer Hauptstraße direkt im Stadtzentrum, und ich dachte: Ja, das könnte meins sein – vielleicht bin ich im Grunde ein Stadtmensch. Ich kannte mich selbst überhaupt nicht, ich wusste nicht, was ich wollte. Nach drei oder vier Hausbesichtigungen bekam ich fürchterliche Angst, dass ich vielleicht gar keine Identität haben könnte. Ich war durchsichtig – ich konnte durch mich hindurchsehen, und da war nichts. Ich dachte bei mir: Ich könnte in all diesen Häusern leben. Über keins dieser Häuser könnte ich sagen, dass sie ›meins‹ sind oder eben nicht. Vielleicht habe ich gar keine Persönlichkeit.«
    Alice lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Er knarzt. »Sie waren eben aufgeschlossen. Kit hat viele

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