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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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davon.
    »Mach schon, Connie – wir warten.« Die Stimme meiner Mutter zerrt mich zurück zu der Feier, an der ich lieber nicht teilnehmen würde. Auf meinem Schoß liegt ein Päckchen, das in »Happy Birthday«-Papier eingewickelt ist: Kits Geschenk. Nur er, Fran und ich wissen, dass ich es schon einmal gesehen habe, dass es eine Tragetasche von Chongololo enthält. Alle drei denken wir daran, dass ich fast Kits liebevolle Geburtstagsüberraschung ruiniert hätte – ich jedenfalls denke daran. Ich stehe in der Tür, Kit kauert über der Schere und dem Tesafilm und versucht auszusehen, als wäre er nicht gekränkt über mein mangelndes Vertrauen . Ich sehe es vor mir wie ein Standfoto aus einem Film, der mir nichts bedeutet – ich empfinde weder Reue noch Bedauern. Schuldgefühle werden nach einer Weile langweilig, irgendwann denkt man, jemand anderes müsse schuld sein, nicht man selbst.
    Ich will dieses Geschenk nicht, was immer es sein mag, aber ich muss so tun, als ob. Meine Mutter klatscht in die Hände und ruft: »Ooh, ich kann es kaum abwarten! Kit hat ja einen so guten Geschmack!« Ich täusche Begeisterung vor, als ich das Papier aufreiße, und denke dabei, dass ich meinen Eltern irgendwann werde erzählen müssen, dass Kit ausgezogen ist, dass ich mir Wochen oder Monate des Lügens ersparen könnte, wenn ich es sofort erzählen würde. Warum tue ich es nicht? Bin ich so naiv, dass ich immer noch hoffe, trotz allem, dass wir unsere Probleme wieder bereinigen könnten?
    Wie hat Kit es noch mal ausgedrückt? Wir könnten unsere Lüge wahrmachen.
    Ich lasse das Geschenkpapier fallen, öffne die Chongololo-Tasche und ziehe ein blaues Kleid hervor.
    »Halt es mal hoch«, sagt meine Mutter. »Wir wollen es alle sehen, nicht wahr, Geoff?«
    »Vati kann ein Kleid von Chongololo nicht von einer Gießkanne unterscheiden, Mutti«, sagt Fran.
    Und er antwortet dir nie, wenn du ihm eine direkte Frage stellst. Ist dir das nie aufgefallen, in all den Jahren, die du mit ihm verheiratet bist? Er redet nur mit dir, wenn es ihm gerade passt, nie reagiert er auf irgendein Bedürfnis von dir.
    Ich stehe auf und schüttle das Kleid aus, damit meine Mutter es sehen kann. Es ist nicht nur blau, es ist auch Rosa darin. Ein Muster. Wellenförmige Linien.
    Wellenförmige Linien, kurze Rüschenärmel …
    Nein. Nein, nein, nein.
    Dunkelheit kriecht von den Rändern meines Gesichtsfeldes auf mich zu, zur Mitte hin. »Alles in Ordnung, Con?«, höre ich Fran sagen.
    »Was ist los, Connie?« Die Stimme meiner Mutter verzerrt sich auf dem Weg zu mir. Als ihre Worte mich erreichen, dehnen sie sich aus und ziehen sich wieder zusammen, winden sich wie die Linien auf dem Kleid.
    Ich muss irgendwas tun, um den Schwindelanfall wegzudrücken. Bislang hatte ich noch keinen Anfall vor den Augen meiner Mutter, und ich darf nicht zulassen, dass mir das jetzt passiert. 2003 gestand ich ihr in einem Augenblick der Schwäche meine gesundheitlichen Probleme, erzählte ihr von meinem Haarausfall, dem Erbrechen und der Gesichtslähmung. Ich habe nie jemandem erzählt, wie sie reagierte, nicht einmal Kit, aber ich fand es beängstigend, wie begeistert sie sich auf meinen neuen Status als Invalidin stürzte. Ich hatte ihr eine Geschichte gegeben, die sie sich selbst erzählen konnte, eine, die ihr gefiel: Ich hatte mich selbst krank gemacht, indem ich so tat, als wollte ich nach Cambridge ziehen, obwohl ich das im Grunde meines Herzens gar nicht wollte – ich hatte das nur Kit zuliebe gesagt. Jetzt musste ich durch meine eigene Dummheit leiden, und sie würde mich wieder gesund pflegen. Die Moral von der Geschicht? Kein Mitglied der Familie Monk darf auch nur daran denken, Little Holling verlassen zu wollen.
    »Connie?« Durch den Nebel hindurch höre ich Kit meinen Namen rufen, aber die Verbindung zwischen meinem Gehirn und meiner Stimme ist gekappt, ich kann nicht antworten.
    Gib dich nicht dem Grau hin. Denk. Ergreif einen Gedanken und richte deine ganze Energie darauf, bevor er sich auflöst und dich in der Dunkelheit treibend zurücklässt. Du hast es Kit nicht erzählt, weil du es dir nicht eingestehen wolltest, stimmt’s? Es ist eine Sache, die eigene Mutter als paranoiden Kontrollfreak hinzustellen, aber eine ganz andere, zu sagen, dass … Na los, sprich es aus. Es ist die Wahrheit, oder? Du weißt, dass es wahr ist. Sie war froh darüber, dass du krank warst, sie fand, du hättest es verdient.
    Sie sieht dich lieber krank als frei.
    Die Wolken

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