Das fremde Haus
schöne Objekte mit Ihnen besichtigt, und jedes hat Ihnen auf seine Weise gefallen. Das ist vollkommen verständlich und kein Grund zur Sorge. Vielleicht hat jedes der Häuser einen anderen Aspekt Ihres Charakters angesprochen.«
»Nein.« Ich wehre ihre beruhigenden Worte mit einer Handbewegung ab. »Ja, es war albern von mir, in Panik zu geraten, weil ich nicht wusste, welche Art Haus ich haben wollte, selbstverständlich, aber das Entscheidende ist: Ich war in Panik. Jedes Mal, wenn ich ein Haus besichtigte und mir nicht sofort sicher war, ob es nun ›meins‹ war oder nicht, fühlte ich mich weniger wirklich. Als würde das Selbst, das ich vielleicht einmal gehabt hatte, dahinschwinden, Tropfen für Tropfen.« Ich kaue an meinem Daumennagel und befürchte, zu viel zuzugeben und dass ich irgendwie dafür büßen werde. »Und dann fanden wir dieses erstaunliche Haus, Pardoner Lane 17 – es war bei Weitem das beste von allen Objekten, das erkenne ich jetzt – und ich war in einer so fürchterlichen Verfassung, dass ich keine Ahnung hatte, ob ich es wunderbar fand oder grauenhaft. Kit hat sich sofort in das Haus verliebt. Ich tat so, als ginge es mir genauso – keine Ahnung, wie überzeugend ich war. Ich hatte das Gefühl durchzudrehen. Alles, was ich wollte, war, sagen zu können: ›Ja, dieses Haus ist wirklich meins‹ und … ich wollte wissen, was das bedeutet.«
Alice beugt sich hinunter und greift in den offenen braunen Koffer, der unter ihrem Schreibtisch steht. Dort bewahrt sie ihre Mittel auf. Der Koffer ist in winzige Fächer aufgeteilt, und jedes enthält ein kleines braunes Glasfläschchen. »Sie waren ängstlich und deprimiert, überfordert von den unvernünftigen Erwartungen Ihrer Familie an Sie.« Sie greift nach einem Fläschchen, betrachtet das Etikett, greift nach einem anderen. »Das Gefühl, dass Ihr Selbst immer weniger wurde, ist darauf zurückzuführen, dass Sie versucht haben, um Ihrer Eltern willen Ihre eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken, weil die Ihren Eltern unbequem waren. Es hatte nichts damit zu tun, dass Sie flexibel an die Frage herangingen, welche Art Haus Sie kaufen wollten, das verspreche ich Ihnen.« Sie hat das Mittel gefunden, nach dem sie gesucht hatte. Für Leute, die eine echte Riesenklatsche haben.
Ich möchte ihr mehr über das Haus erzählen, in das ich mich hätte verlieben sollen, wenn ich nicht zu neurotisch dafür gewesen wäre, unfähig, klar zu sehen. Ich muss das alles einfach einmal beichten: wie ich alles kaputt gemacht habe, wie ich mit meiner Paranoia systematisch Kits feste Überzeugung aushöhlte. »Das Haus lag neben einer Schule – dem Beth Dutton-Zentrum«, erzähle ich Alice. »Ich habe wegen des Gongs schlaflose Nächte verbracht. Etwas Lächerlicheres kann man sich wohl kaum vorstellen, oder?«
»Des Gongs?«
»Wegen der Schulklingel, mit der zur Pause geläutet wird. Was, wenn sie laut wäre? Der Lärm würde uns in den Wahnsinn treiben, und wir würden das Haus nie wieder verkaufen und wegziehen können, weil wir gegenüber den Kaufinteressenten ehrlich sein müssten – bei so etwas würden wir nicht lügen können. Kit versicherte mir, wenn die Klingel zu laut sei, könnten wir sicher darum bitten, sie leiser zu stellen. Er hat mich ausgelacht, weil ich mir wegen einer so dummen Sache solche Sorgen machte. Er lachte wieder, als ich ein paar Tage später aus einem ebenso albernen Grund kalte Füße bekam: das Haus hatte keinen Namen.«
»Ich gebe Ihnen diesmal ein anderes Mittel«, sagt Alice. »Anhalonium. Weil Sie sagten, Sie fühlten sich durchsichtig und hätten keine Persönlichkeit.«
»Ich hatte noch nie in einem Haus gelebt, das keinen Namen besaß.« Ich höre ihr nicht zu. »Habe ich immer noch nicht. Erst habe ich mit meinen Eltern in Thorrold House gewohnt, dann bin ich zu Kit nach Rawndesley gezogen. Er wohnte in der Nummer 10, aber das Gebäude hatte einen Namen: Martland Tower. Außerdem war das sowieso etwas anderes. Wir haben die Wohnung beide nicht als unser Zuhause betrachtet – es war nur ein vorübergehender Notbehelf. Jetzt wohne ich im Melrose Cottage. Das Haus von Fran und Anton heißt Thatchers … In Little Holling haben alle Häuser Namen. Ich bin daran gewöhnt. Als Kit so versessen auf dieses Haus war, Pardoner Lane 17, habe ich versucht, mir vorzustellen, in einem Haus zu leben, das nur eine Nummer hat, und es schien mir irgendwie … falsch zu sein. Zu unpersönlich. Es machte mir Angst.«
Alice nickt.
Weitere Kostenlose Bücher