Das fremde Haus
ich. »Ich auch nicht.« Es ist schade. Das Essen wird wahrscheinlich gut sein. Die zitronengrün-purpurnen Samtbezüge wirken teuer. Sie erinnern mich an das Kleid der toten Frau, die Farben sind dieselben.
Ich lege die Speisekarten auf den Tisch und schenke uns beiden Wasser ein.
»Spiel keine Spielchen«, sagt Kit. »Warum sind wir hier?« Er hat sich noch nicht gesetzt, steht fluchtbereit da, ist nicht gewillt, sich auf ein Gespräch mit mir einzulassen, solange er nicht weiß, worum es geht.
»Ich wohne hier.« Ich erzähle ihm nicht, dass Selina Gane ebenfalls hier wohnt. Aber das weiß er ja vielleicht längst.
»Du …« Sein Atem beschleunigt sich, als würde er laufen. Ich überlege, ob er an Flucht denkt. Wie schwer es ihm wohl fällt, zu bleiben, wo er ist? »Du haust ohne jede Erklärung von deiner eigenen Geburtstagsfeier ab …«
»Die Geburtstagsfeier war die Erklärung. Das und das Kleid, das du mir gekauft hast.«
»Ich schwöre bei Gott, Con …«
»Vergiss es«, sage ich. »Es interessiert mich nicht. Ich muss etwas anderes mit dir besprechen. Setz dich. Setz dich hin.«
Zögernd lässt er sich auf dem Stuhl mir gegenüber nieder. Er wirkt so unentspannt wie nur möglich – Schultern hochgezogen, Kiefer verkrampft, rot im Gesicht. »Wir sollten über die Arbeit reden«, sagt er.
»Nur zu.« Schließlich ist das hier eine geschäftliche Besprechung. Man kann nicht seinen Mann zu einer Geschäftsbesprechung bitten und sich dann weigern, über die Arbeit zu sprechen.
»Du bist Nullis Geschäfts- und Finanzdirektorin. Die ganze Strategie stammt von dir, die ganze Planung … Du sorgst dafür, dass die Gehälter ausgezahlt werden. Ich kann schuften bis zum Umfallen und mein Team ebenfalls, aber wenn du deinen Teil nicht erfüllst, verschwenden wir unsere Zeit.«
»Akzeptiert«, sage ich.
»Wenn du der Sache nicht mehr gewachsen bist, geht die Firma kaputt.«
»Und du glaubst, dass ich der Sache nicht mehr gewachsen bin?«
»Bist du das denn?«
»Nein«, räume ich ein. »Nicht, seit ich die Leiche dieser Frau auf Roundthehouses gesehen habe. Aber das ist ja schließlich noch nicht mal eine Woche her. Die Firma wird schon nicht zu Staub zerfallen, nur weil ich mal eine Woche den Papierkram vernachlässigt habe. Aber das ist sowieso unerheblich. Nächstes Jahr um diese Zeit wird es Nulli Secundus höchstwahrscheinlich nicht mehr geben.«
Alle Farbe weicht aus Kits Gesicht. »Was redest du da?«
»Du bist intelligent, du bist entscheidungsfreudig«, erkläre ich forsch, denn ich finde, ich sollte ihm etwas zur Entschädigung dafür anbieten, dass er sowohl seine Frau als auch seine Firma verlieren wird. »Du wirst eine neue Firma gründen, ohne mich. Ich bin sicher, sie wird sehr gut laufen.«
Kits Mund und seine Augen fangen an, sich zu bewegen – unwillkürliche, unkoordinierte Zuckungen. Er kann nicht fassen, dass ihm so etwas passiert. Ich weiß, wie er sich fühlt.
»Wie kannst du …«
Es tut mir leid. Ich liebe dich nicht weniger als früher, bevor all das geschah. Ich vertraue dir weniger, ich mag dich weniger, ich bin eher bereit, dir wehzutun, aber an der Liebe hat sich nichts geändert. Ich hätte das nicht für möglich gehalten – du etwa, Kit?
Ich widerstehe dem Drang, es ihm zu erklären, denn ich weiß, dass es nicht helfen würde.
»Wie kannst du so ruhig dasitzen und verkünden, dass du vorhast, alles zu zerstören, was wir haben?« Seine Stimme klingt heiser, hohl. »Unsere Ehe, unsere Firma …«
»Lies das bitte.« Ich ziehe den Brief aus meiner Handtasche und reiche ihn Kit. »Ich wollte, dass du das vor Selina Gane zu Gesicht bekommst. Wenn ich deine Einwilligung habe, schiebe ich ihr den Brief unter der Tür durch. Sie wohnt ebenfalls hier im Hotel. Wusstest du das?«
Kit schüttelt langsam den Kopf, seine weit aufgerissenen Augen kleben an meinen handgeschriebenen Worten.
Ich hatte erwartet, dass es mir schwerfallen würde, aber es ist mir noch nie so leichtgefallen, einen Brief zu schreiben. Für den Zweck dieser Übung ging ich davon aus, dass Selina Gane unschuldig ist, und ich habe ihr alles erklärt, zumindest so weit, wie ich es erklären konnte. Ich hätte ihre Adresse in Kits Navi gefunden, schrieb ich, und schilderte die Verdächtigungen und Befürchtungen, die mich dazu gebracht hatten, vor ihrem Haus zu warten und ihr zu folgen. Ich erwähnte auch, dass ich im Rückblick wünschte, ich wäre offener damit umgegangen und hätte sie direkt
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