Das fremde Haus
du kein Lügner bist, kein Mörder …« Ich zucke mit den Achseln. »Vielleicht können wir dann einen Weg zurückfinden, aber …« Ich halte inne. Es ist nicht fair, ihm falsche Hoffnungen zu machen, selbst wenn es meiner Sache dienlich wäre. »Mit unserer Ehe wird es vermutlich in jedem Fall vorbei sein.«
»Na, das würde der durchschnittliche Blödmann dann wohl als Kinderspiel bezeichnen.« Kits Lächeln ist zittrig. »Wenn ich die Wahl habe, die Frau, die ich liebe, entweder mit Sicherheit zu verlieren oder nur vielleicht, werde ich mich wohl für Letzteres entscheiden müssen.« Er steht auf. »Ich unterschreibe alles, was du mir vorlegst. Sag einfach Bescheid. Du weißt ja, wo du mich findest.«
18
23. 7. 2010
»Du musst etwas für mich erledigen.«
»Ich freu mich auch, von dir zu hören.« Charlie schnitt dem Telefon eine rüde Grimasse. »Mir geht’s gut, danke der Nachfrage. Wo steckst du?«
»Ruf Alice Fancourt an und mach ein Treffen mit ihr aus. Sobald wie möglich. Alice Bean meine ich – auf das Fancourt hat sie verzichtet. Stell fest, wann sie Connie Bowskill zuletzt gesehen hat und was –«
»Moment. Warte mal kurz.« Das war die Art Gespräch, die nach der Begleitung durch ein Glas Wein verlangte: kalt, weiß, knochentrocken. Charlie hievte sich vom Sofa hoch und zog die Wohnzimmergardinen zu, so weit, wie es ging. Die Gardinen schlossen in der Mitte nicht ganz, weil Charlie sie nicht richtig aufgehängt hatte. »Dann nimm sie wieder runter und häng sie neu auf, ordentlich diesmal«, war Livs Kommentar gewesen, aber für Charlie fielen Gardinen in die Kategorie der Dinge, die nur eine einzige Chance bekamen. Wie Schwestern.
Sie hätte es nie gegenüber irgendjemandem zugegeben, aber sie war froh darüber, wieder zu Hause zu sein – Königin ihres kleinen, schlecht eingerichteten Reihenhauses, nicht länger eine Außenseiterin im Paradies. »Connie Bowskill kennt Alice?«, fragte sie und unterdrückte ein Gähnen.
»Alice ist ihre Homöopathin«, antwortete Simon. »Ich muss wissen, wann sie sie zuletzt gesehen hat, was Connie gesagt hat, ob sie eine Ahnung hat, wo Connie jetzt ist.«
»Auf die Gefahr hin, egoistisch zu klingen, aber was hat diese Auflistung von Wünschen mit mir zu tun? Ich gucke gerade eine DVD.« Bislang war der Film brillant gewesen. Er hieß »Das Waisenkind« und handelte von einem Adoptivkind namens Esther, einer Psychopathin, die offensichtlich die Absicht hatte, alle ihre Geschwister umzubringen. Charlie konnte sich sehr gut mit ihr identifizieren, obwohl das vermutlich nicht die Reaktion war, auf die der Regisseur gesetzt hatte.
»Na, ich kann ja schlecht mit Alice reden, oder?«, sagte Simon ungeduldig.
»Ihr hattet beide einen Mund und Ohren, als ich es das letzte Mal überprüft habe. Du meinst, du willst nicht mit ihr reden.« Charlie schenkte sich ein Glas Wein ein und war froh darüber, dass er nicht hier war und sie lächeln sah. Das Lächeln verblasste, als ihr einfiel, dass dieses Nichtsehen-Wollen auf sehr unterschiedliche Gründe zurückgeführt werden konnte: Abneigung, Peinlichkeit, eine Aversion dagegen, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. All das wäre okay, sinnierte Charlie, während sie den Wein in den Kühlschrank zurückstellte. Oder brennende unerwiderte Liebe von der Art, die weiß, dass sie durch erneute Konfrontation mit dem Liebesobjekt nur zu größerer Pein gesteigert werden würde. Nein. Lächerlich. Aus Simons Tonfall ging klar hervor, dass Alice für ihn lediglich Mittel zum Zweck war. Connie Bowskill war diejenige, die ihn interessierte. Und nein, sagte Charlie sich entschieden, nicht auf diese Weise.
»Ich will nicht mit Alice sprechen, nein«, sagte Simon.
Charlie auch nicht, aber sie wusste, was geschehen würde, wenn sie sich weigerte. Er würde seinen Unwillen überwinden und tun, was getan werden musste, um an die Informationen zu kommen, die er brauchte. Das war ihre Chance, ein Wiedersehen zu verhindern. »Schön, ich mach’s. Wo bist du?«
»Noch in Cambridge.«
»Kommst du nach Hause?«
»Nein, ich fahre nach Bracknell, um mit Kit Bowskills Eltern zu sprechen.«
»Jetzt noch? Es wird Mitternacht sein, bis du ankommst.«
»Sie erwarten mich gleich morgen früh. Ich werde im Auto campieren, vor ihrem Haus.« Charlies Einwand vorwegnehmend, fügte er hinzu: »Es hat doch keinen Sinn, dass ich nach Hause komme, nur um ein paar Stunden im Bett zu verbringen. Ich könnte sowieso nicht schlafen.«
Als
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