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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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zwei Dingen hergestellt, die überhaupt nichts miteinander zu tun hatten – ein alberner Witz, den ihr Mann vor Jahren gemacht hatte, und die Tote, die sie auf ihrem Computermonitor gesehen hatte oder behauptete, gesehen zu haben.
    Als Charlie Alice nachschaute, fühlte sie etwas an ihrem Bauch vibrieren. Energievibrationen . Was für ein Humbug. Sie zog ihr Handy aus der Handtasche. Es war Sam Kombothekra. »Was machst du gerade?«, fragte er ohne große Vorreden.
    »Nicht viel«, sagte Charlie. »Und du?« Unter normalen Umständen hätte sie es ihm erzählt, aber sie wollte den Namen Alice nicht laut aussprechen, weil sie befürchtete, dass Sam dann durchs Telefon ihre Schuld spüren könnte. Nicht, dass sie sich schuldig fühlte, sie akzeptierte einfach, dass sie es war – oder bald sein würde. In diesem speziellen Fall beunruhigte ihre Missetat sie wenig. Sie klemmte sich das Telefon unters Kinn, um ihre Hände dazu benutzen zu können, Alices Brief aus der Tasche zu holen.
    »Wo bist du?«, fragte Sam.
    Charlie lachte. »Lautet deine nächste Frage: Welche Farbe hat deine Unterwäsche?«
    »Mein nächste Frage lautet, wo steckt Simon? Ich habe versucht, ihn anzurufen.«
    »Er ist in Bracknell, um mit Kit Bowskills Eltern zu reden«, sagte Charlie. Es war lächerlich, wie stolz sie sich fühlte, weil sie wusste, wo Simon war, und Sam nicht.
    »Können wir uns in einer Viertelstunde in der ›Brown Cow‹ treffen?«
    »Sollte klappen. Was gibt’s für ein Problem?«
    »Das werde ich dir dann erzählen.«
    »Ich könnte schneller dort sein, wenn eine Andeutung meine Schritte beflügelte.« Charlie fuhr mit den Fingern über den zugeklebten Umschlag. Es würde nichts Gutes dabei herauskommen, wenn sie den Brief öffnete. Simon wusste nicht, dass er existierte, und Charlie wollte den Inhalt des Briefes ebenso wenig in ihrem eigenen Kopf haben, wie in seinem Kopf wollte. Sie riss den Umschlag in Stücke und dann in kleine Fetzen und ließ sie zu Boden segeln.
    »Jackie Napier«, antwortete Sam. »Das Problem ist Jackie Napier.«
***
    »Man muss damit umgehen, als wäre es ein Trauerfall«, sagte Barbara Bowskill zu Simon. »Früher hatte man einen Sohn, und jetzt hat man ihn nicht mehr. Man ist in derselben Lage wie eine Mutter, deren Sohn im Irak gekämpft hat und durch eine Bombe umgekommen ist, oder wie eine Mutter, deren Sohn an Krebs gestorben ist oder von einem Pädophilen ermordet wurde. Es gibt nichts mehr, was du tun kannst, sagt man sich – das Kind ist nicht mehr da –, und man hört auf zu hoffen.« Sie sah genauso aus, wie in Simons Vorstellung eine Trauerberaterin aussehen sollte, obwohl sie das in Wirklichkeit selten taten: gekräuseltes, gefärbtes kastanienbraunes Haar, grau an den Wurzeln, eine bestickte Tunika über ausgestellten Jeans, klobiger Holzschmuck, Stoffsandalen mit Keilabsatz und Korkfußbett. Und keine Trauerberaterin würde einem dazu raten, so zu tun, als sei das eigene Kind von einem Pädophilen ermordet worden, wenn dieses Kind gesund und lebendig war und in Silsford wohnte.
    Nicht zum ersten Mal seit seiner Ankunft beschlichen Simon Zweifel an Kit Bowskills Mutter. Es war nicht nur die Pädophilen-Bemerkung. Er fand ihr Lächeln beunruhigend und war froh, dass er es erst zweimal zu sehen bekommen hatte, einmal als sie die Tür öffnete, um ihn einzulassen, und dann, als er ihr für den Becher Tee dankte, den sie ihm reichte. Es war aufdringlich, ein geschändetes Lächeln – es suggerierte extreme Empathie, geteilten Schmerz, Sehnsucht und ein starkes Verlangen, die Seele des Gegenüber zu verschlingen. Es waren zu viele Fältchen um die Augen, wenn sie lächelte, die Lippen waren zu stark geschürzt, fast, als würde sie gleichzeitig jemanden ein Küsschen zuwerfen und anfangen zu weinen.
    Nigel Bowskill sah aus, als gehörte er einer anderen Welt an als seine Frau. Er trug eine graue Anzughose, ein grünes T-Shirt und weiße Turnschuhe. »Sonst ist es einfach zu schmerzlich«, erklärte er. »Wir können nicht den Rest unseres Lebens darauf warten, dass Kit seine Meinung ändert. Es ist jetzt sieben Jahre her, und er hat’s nicht getan. Wahrscheinlich wird er es niemals tun.«
    »Warum sollte er solche Macht über uns haben?« Barbaras Worte klangen defensiv, obwohl niemand sie kritisiert hatte. Irgendwas war seltsam an der Art, wie dieses Ehepaar sprach, dachte Simon – als würden sie einander mit jeder Äußerung bis auf Blut widersprechen, obwohl sie absolut

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