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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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einmütig zu sein schienen, wenn man nur auf die Worte achtete und nicht auf den Tonfall.
    Simon hatte den Aufenthalt in ihrem Haus bislang nicht sonderlich genossen. Es war ein freistehendes Haus, eine moderne Villa aus hellem Backstein, die zusammen mit der angebauten Doppelgarage ein L bildete. Er rief sich in Erinnerung, dass das keine Rolle spielte. Das hier war schließlich unbezahlte Arbeit und kein Vergnügen. Der achte Tag seiner Flitterwochen. Er wünschte, er hätte Charlie mitgenommen, aber er wusste auch, dass er sich erneut dafür entscheiden würde, allein zu fahren, selbst wenn er durch irgendein Wunder die Zeit zurückspulen könnte. »Das muss schwer für Sie sein«, sagte er. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie frage, wie es zu dem Zerwürfnis kam?«
    »Kit hat es Ihnen nicht erzählt?« Barbara verdrehte die Augen über die eigene Dummheit. »Nein, natürlich nicht. Das hätte er ja auch nicht tun können, ohne etwas über sich zu verraten, von dem er nicht wollte, dass Sie es erfahren, dass er einmal ein Ziel nicht erreicht hat, ihm etwas nicht gelungen ist, Schock Horror. Eins müssen Sie wissen, wenn Sie meinen Sohn verstehen wollen – er ist der verschlossenste, introvertierteste Mensch, dem Sie je begegnen werden, und der stolzeste. Da er sich weigert, sich mit seiner eigenen Fehlbarkeit abzufinden, ist sein Stolz leicht verletzt – da kommt die Heimlichkeit ins Spiel, alles im Dienst der guten Sache, der Wahrung seines Gesichts. Für Kit besteht kein Zweifel daran, dass die ganze Welt ihn beobachtet und eifrig auf seinen Sturz lauert. Auf den ersten Blick wirkt er vielleicht entspannt und gesprächig, aber lassen Sie sich nicht täuschen – das ist alles Image-Management.«
    »Er hat seine ganze Kindheit damit zugebracht, sich vor uns zu verbergen«, sagte Nigel.
    Automatisch schaute Simon sich im Wohnzimmer nach möglichen Verstecken um und fand keins. Es gab nichts, hinter dem man sich hätte verstecken können, lediglich zwei Ledersofas im rechten Winkel zueinander, beide vor eine Wand geschoben. Der Flur, durch den Simon geführt worden war, war ähnlich leer gewesen und auch die Küche, in der er kurz gestanden hatte, während Barbara ihm einen Tee machte. Simon hatte noch nie ein weniger vollgestelltes Haus gesehen. Es gab keine Regale, keinen Nippes, keine Mäntel an Haken neben der Haustür, keine Pflanzen, keine Obstschalen oder Uhren, keine Tischchen. Das Haus wirkte wie ein Filmset, das noch nicht fertig aufgebaut war. Wo bewahrten Kits Eltern nur alle ihre Sachen auf? Simon hatte sich erkundigt, ob sie gerade eingezogen seien, und erfahren, dass sie seit sechsundzwanzig Jahren in diesem Haus wohnten.
    »Ich meinte nicht, dass er sich körperlich versteckt hat«, sagte Barbara. »Wir wussten immer, wo er war. Er blieb nie länger weg, ohne uns Bescheid zu sagen, wie es einige seiner Freunde taten, wir mussten uns nie Sorgen um ihn machen.«
    »Wir dachten, wir wüssten auch, wer er war.« Nigels Gesicht war wie das seines Sohnes, nur zweieinhalb Jahrzehnte älter. »Ein zufriedener, höflicher, gehorsamer Junge – hat die Schule mit links geschafft, jede Menge Freunde.«
    »Er hat uns das Gesicht gezeigt, das wir gern sehen wollten«, platzte Barbara heraus, als fürchte sie, ihr Mann könne die Pointe früher bringen, wenn sie sich nicht beeilte. »Seine ganze Kindheit über war unser Sohn sein eigener Imageberater.«
    »Und was wollte er verbergen?«, erkundigte sich Simon. Bislang hatte es keine Gegenfragen gegeben. Wenn Kit Bowskills Eltern sich darüber wunderten, dass jemand von der Kripo zu ihnen gekommen war, um Fragen über ihren Sohn zu stellen, behielten sie das für sich. Wenn doch nur alle, die Simon vernahm, diesen Mangel an Neugier zeigen würden. Er hasste es, Erklärungen abgeben zu müssen, selbst wenn es eine gute Erklärung gab.
    »Nichts, das irgendetwas mit einer realen Schuld zu tun gehabt hätte«, erklärte Nigel. »Er wollte nur sich selbst verbergen.«
    »Seine niedrige Meinung von sich selbst«, ergänzte Barbara. »Das, was er als seine Schwäche ansah. Natürlich haben wir das alles erst später herausgefunden – wir haben Detektiv gespielt, könnte man sagen. Wir haben mit seinen Schulfreunden gesprochen und Dinge herausgefunden, von denen wir damals keine Ahnung hatten, weil Kit sie uns verheimlicht hat – die Qualen, die er den Mitschülern zufügte, die einen Preis gewannen, den er seiner Meinung nach hätte gewinnen sollen, die

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