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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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mir auffiel, weil es … mir falsch vorkam. Rein instinktiv, bevor ich Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken. Ich wusste, ich hatte irgendeinen Satz von ihr gehört, der mich irritierte, aber ich kam lange nicht darauf, was es gewesen war. Gestern Nacht fiel es mir dann ein. Sie sprach über die Frau, die sich für Selina Gane ausgegeben und versucht hatte, deren Haus einem Makler zu übergeben. ›Sie war schlau‹, sagte sie. ›Sie wusste, sie brauchte nur davon zu reden, dass kein Mensch so aussieht wie auf seinem Passfoto. Wenn sie mich dazu bringen würde, an all die Leute zu denken, bei denen das stimmte, würde sie mich nicht mehr überzeugen müssen – die Arbeit würde ich selbst erledigen.‹«
    »Und?«, fragte Charlie. »Wo ist das Problem?«
    Simon nickte, ganz der Alleswisser, der einen zur Raserei treiben konnte. Er konnte doch unmöglich wissen, worauf Sam hinauswollte. Oder?
    »Vielleicht gibt es keins.« Sam seufzte. »Deshalb habe ich ja auch nichts gesagt.«
    »Und was könnte möglicherweise das Problem sein?« Charlie formulierte ihre Frage um und verdrehte die Augen über seine ärgerliche Bescheidenheit. »Ich habe dich nicht aufgefordert, dich darauf festzulegen, ob es ein Problem ist oder nicht – sag mir einfach, worin es besteht.«
    »Was, glaubst du, hat Jackie damit gemeint, als sie sagte, die Frau wüsste, sie würde die Arbeit selbst erledigen?«, fragte Sam.
    »Sie wusste, Jackie würden sofort die Passfotos ihrer Freunde einfallen, die ihnen überhaupt nicht ähnlich sahen«, sagte Simon. »Sie würde daran denken, wie oft sie gefragt hatte: ›Bist das wirklich du?‹, wenn ihr ein Passfoto gezeigt wurde.«
    Sam nickte heftig.
    »Das Bedeutung, die die eigene Erfahrung für uns hat, lässt sie immer als handfesten Beweis erscheinen.« Simon richtete diesen Kommentar an Charlie. Glaubte er etwa, dass sie hinterherhinkte? »Jackies Unterbewusstsein würde sie daran erinnern, dass in allen Fällen, die ihr persönlich untergekommen waren, die Fotos vielleicht wenig überzeugend gewesen sein mögen, aber immerhin ausnahmslos Fotos der fraglichen Personen waren, wie gering die Ähnlichkeit auch sein mochte.«
    »Genau.« Sam klang erleichtert. »Diese Frau, wer auch immer sie war, hat Jackie nicht so sehr belogen als sie eingeladen, sich selbst zu belügen, über den speziellen Fall hinauszudenken, das Passfoto von Selina Gane, und auf ihr Wissen von der allgemeine Norm in dieser Situation zurückzugreifen. Niemand sieht aus wie auf seinem Passfoto, was aber nie bedeutet, dass es kein Foto des Passinhabers ist. Es heißt nur, dass es ihm nicht sonderlich ähnlich sieht, das ist alles.«
    Charlie glaubte, es begriffen zu haben. »Du meinst also, diese Frau hat sich ganz bewusst eine von Jackies tief verwurzelten Denkgewohnheiten zunutze gemacht …«
    »Eine fest verwurzelte, auf persönlicher Erfahrung basierende Denkgewohnheit«, berichtigte Simon. »Die haben immer den größten Einfluss: Ich treffe einen Schwulen, der eine hohe Stimme hat, also sind alle Männer mit hohen Stimmen schwul. Eine Gruppe asiatischer Jugendlicher hat mal meine Handtasche geklaut, daher müssen alle asiatischen Jugendlichen, denen ich begegne, kriminell sein. Muster, die sich wiederholen, wirken beruhigend auf unser Gehirn. Immer wenn X der Fall ist, ist auch Y der Fall. Das hat Jackie Napier gemeint. Die Frau baute darauf, dass ihr Gehirn ganz von selbst die vertraute Bahn finden würde – kein Passfoto sieht der fotografierten Person ähnlich, und doch sind alle Passfotos Bilder der Passinhaber.«
    »Also hatte Jackie recht«, schloss Charlie daraus. »Die Lügnerin war schlau.«
    »Mag sein oder auch nicht, aber das ist nicht der Punkt.« Sam wirkte erneut beunruhigt. »Worum es mir geht, ist die Frage, wie schlau Jackie ist. Als sie mir so nebenbei erzählte, die Frau habe gewusst, dass sie die Arbeit selbst erledigen würde, hat sie die Sachlage sehr scharfsinnig und höchst subtil umschrieben – es hat mehrere Minuten gedauert, bis wir es ganz kapiert hatten, und wir sind drei ziemlich intelligente Leute. Entschuldigung, wenn ich das so sage.« Sam lief rot an, während er sich dafür entschuldigte, sich selbst ein Lob erteilt zu haben, das er möglicherweise nicht verdiente. »Damit hat sie gezeigt, dass sie genau begriff, warum die Täuschung so gut geklappt hat und es weit präziser zusammenfassen konnte, als wir das gerade getan haben. Ein solch instinktives Verständnis einer so komplexen

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