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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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Angelegenheit wäre bei verdammt vielen Leute undenkbar. Es wäre eindeutig zu hoch für jemandem mit einem so – tut mir leid, das klingt jetzt bestimmt furchtbar – unterdurchschnittlichen, einfältigen Verstand, wie sie ihn sonst zu haben schien.«
    Simon leerte sein Glas und knallte es auf den Tisch. »Es besteht kein Zweifel daran, dass Jackie Napier clever ist«, sagte er. »Sie ist zudem eine hervorragende Lügnerin. Für einen intelligenten Menschen ist es fast unmöglich, sich als das Gegenteil zu präsentieren – viel schwerer als es für einen bösen Menschen ist, sich für einen guten Menschen auszugeben. Nicht nur die Einstellungen, denen man Ausdruck verleiht, sind anders, auch die Sprachmuster, die Satzstruktur, die Wortwahl, alles. Aber es wäre ihr fast gelungen. Wenn sie nicht diesen einen Satz gebracht hätte, wärst du überzeugt gewesen.«
    Sam nickte.
    »Du warst privilegiert«, sagte Simon. »Sie muss viel von dir gehalten haben. Für dich hat sie alle Register gezogen und die größte Lüge vorgebracht, die sie je erzählt hat oder je erzählen wird. Sie hat dir gesagt, sie wäre kein fantasievoller Mensch. Falsch – genau das ist sie. Sie hat Fantasie, aber kein Gewissen, kein Mitgefühl, sehr wenig Furcht und weiß kaum um ihre eigenen Grenzen.«
    Charlie spürte, wie ein Schauder sie überlief. Die Beschreibung war zu vertraut, andere Namen drängten sich auf. Namen von Ungeheuern.
    »Jackie Napier ist die Sorte Mensch, von denen man sich wünscht, sie hätten überhaupt keine Fantasie«, sagte Simon.

23
    S AMSTAG , 24. J ULI 2010
    »Ich kann nicht atmen«, keuche ich. Kit drückt das Messer zu fest gegen meine Kehle. »Du erstickst mich.«
    »Tut mir leid«, flüstert er. Er hat das Gesicht in meinem Haar vergraben. Ich spüre, wie seine Tränen meinen Hals benetzen. Er nimmt das Messer weg und hält es mir vors Gesicht. Es bebt in seiner Hand. Mit dem anderen Arm hält er mich so fest, dass ich meine Arme nicht bewegen kann. Ich kann mich nicht losreißen, ich bin nicht stark genug.
    Die geriffelte Klinge des Messers blitzt silbern auf.
    Bilder schießen mir durch den Kopf: eine Teekanne, Schokoladenkuchen, ein Plastikbecher mit Deckel, das blaurosa Sanduhr-Kleid.
    Es ist unser Messer, aus der Küche in Melrose Cottage. Zuletzt habe ich es auf einem Holztablett liegen sehen, neben meinem Geburtstagskuchen.
    Wieso bin ich nicht auf den Gedanken gekommen, dass Kit schon hier sein könnte? Wie konnte ich nur so blöd sein? Neue Tränen brennen hinter meinen Augenlidern. Ich blinzele und versuche, sie zurückzuhalten. Versuche zu denken. Ich kann nicht zulassen, dass Kit mich umbringt. Ich kann nicht zulassen, dass meine Waghalsigkeit mich in die Schlagzeilen bringt. Wenn die Leute hören, was mit mir geschehen ist, werden sie sagen: »Die hatte selbst schuld, wie konnte sie nur so blöd sein.«
    »Hab keine Angst«, sagt Kit. »Ich komme mit dir. Glaubst du wirklich, ich würde dich alleine gehen lassen?«
    Gehen . Er redet vom Sterben.
    »Wir gehen gemeinsam, wenn wir bereit sind«, sagt er. »Zumindest sind wir endlich am richtigen Ort.«
    Wenn wir bereit sind. Das heißt, noch ist es nicht so weit. Er ist noch nicht bereit, noch nicht bereit, uns beide zu töten – ich klammere mich an diesen Fetzen Hoffnung.
    »Wer war die tote Frau, die ich auf dem virtuellen Rundgang gesehen habe?« Ich habe mir selbst etwas geschworen. Vielleicht werde ich die Sache nicht überleben, aber ich werde nicht sterben, bevor ich es weiß. Ich will nicht in Unwissenheit sterben.
    »Jackie Napier«, sagt Kit.
    Nein. Das kann nicht stimmen. Jackie hat am Dienstag noch gelebt. Sie kam in den Raum, in dem Kit und ich waren. Und sagte zu Grint: »Ich weiß nicht, wo Sie die aufgegabelt haben, aber Sie können sie wieder wegschicken. Ich habe die Frau noch nie im Leben gesehen.«
    »Es war nicht Jackie …«, setze ich an.
    »Doch«, sagt Kit. »Sie war nicht tot, aber es war Jackie.«
    Sie war nicht tot, aber es war Jackie. Sie war nicht tot, aber es war Jackie. Entsetzen lässt meine Haut kribbeln, als würden die dünnen Beinchen von tausend winzigen Spinnen über mich hinwegkrabbeln. Ich bringe es nicht über mich, die Frage zu stellen, ob das Blut echt war. Es ist auch nicht nötig. Ich kenne die Antwort.
    Ich denke an meine Mutter, die wissen wollte, welche Frau, die noch ganz richtig im Kopf ist, ein schönes Kleid ruinieren würde, indem sie sich in rote Farbe legt. In Jackie Napiers Kopf muss

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