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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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geschlossene Tür zu. Alle anderen Türen stehen leicht offen.
    »Nein«, bringe ich heraus. »Bitte, ich will nicht … nein, nicht …« Das ist das Zimmer. In diesem Zimmer wird er mich umbringen.
    Kit hackt mit der Messerspitze auf die Klinke ein, um sie herunterzudrücken, und die Tür schwingt mit einem Klicken auf. Sein Arm umklammert mich noch fester. Ich versuche, mich auf die Vorstellung zu konzentrieren, leicht und frei zu atmen. Kit jault auf wie ein Tier, das in eine Falle geraten ist, als er mich gewaltsam über die Schwelle zerrt. Er will das nicht tun. Alles, was er macht, ist ihm ein Gräuel. Der Verwesungsgestank in dem Raum lässt mich würgen. Ich nehme nichts wahr außer dem schwarzen Gesurre, dem Doppelbett vor mir, und auf dem Bett …
    Nein. Nein. Neinbitteneinbittebittenein.
    Vier große Plastikpakete, jedes mehrere Fuß lang, mit braunem Paketklebeband umwickelt und oben und unten versiegelt. Vier stinkende Kokons, um die eine Wolke schwarzer Fliegen herumsurrt – drei liegen Seite an Seite, und das vierte, das kleinste, schmiegt sich in eine Lücke zwischen die beiden größeren. Durch die transparente Plastikfolie kann ich Stoff erkennen – ein Muster aus Blüten und Blättern, ein Paisley-Muster …
    »Wir mussten sie einwickeln wie Mumien«, sagt Kit. »Damit sie nicht anfangen zu stinken, um die Fliegen fernzuhalten – das waren Jackies Worte. Man sieht ja, wie gut das geklappt hat. Das ist ihre Vorstellung davon, wie man Fliegen fernhalten kann.«
    Jetzt . Ich sollte losrennen, aber mein Körper ist knochenlos und schlaff. Kit bückt sich, sodass ich gezwungen bin, mich ebenfalls hinunterzubeugen. Auf dem Boden neben dem Bett liegt eine Rolle Paketklebeband. »Heb das auf«, befiehlt er und lässt einen meiner Arme los. »Kleb dir den Mund zu und schling dir das Band zweimal um den Kopf herum, sodass der Mund ordentlich bedeckt ist.« Das Messer stößt in die Luft vor meinen Augen. Nur zwei Zentimeter weiter, und es zerteilt meinen Augapfel.
    Ich spüre, wie mir etwas die Beine hinunterrinnt. Ich versuche, vor mir selbst zu leugnen, was das bedeuten muss, aber ich weiß es und kann diesem Wissen nicht entrinnen. Ich habe mir in die Hose gemacht . Ich versuche, den Kopf abzuwenden, damit ich nicht mitansehen muss, wie meine Schande in den Teppich sickert. Die Leute, die meine Leiche finden werden, werden wissen, dass ich voller Angst und gedemütigt starb.
    »Nimm das Klebeband«, wiederholt Kit, als könne er nicht begreifen, wieso das, was seinem Wunsch nach geschehen soll, nicht längst geschehen ist. »Kleb dir den Mund zu, dann schling dir das Band zweimal um den Kopf herum.«
    Aber ich kann nicht, ich kann gar nichts tun. Ich kann nicht gehorchen, und ich kann mich nicht wehren. »Bring mich einfach um«, sage ich schluchzend. »Bring es hinter dich.«

26
    24. 7. 2010
    »Viele Studenten bleiben nach ihrem Abschluss in Cambridge«, sagte Charlie. »Warum hat Kit Bowskill das nicht getan, wenn er so verrückt auf die Stadt war?« Sie saß auf dem Rücksitz in Simons Wagen. Charlies Auto hatten sie auf dem Parkplatz des Granta-Pubs stehen lassen. Es herrschte dichter Verkehr. Simon hatte bereits vorgeschlagen, dass sie aussteigen und zu Fuß gehen sollten, und langsam gelangte Charlie zu der Ansicht, dass das vielleicht tatsächlich besser wäre. Das Auto hatte in der prallen Sonne gestanden, während sie im Pub gesessen hatten, und bislang zeigte die Klimaanlage noch keine große Wirkung. Charlies Top war am Rücken vollständig durchgeschwitzt.
    »Du siehst das falsch«, sagte Simon. »Du darfst Bowskill nicht als einen normalen Typen betrachten, der ein Ziel hat, das er erreichen will, und sich anerkennend auf die Schulter klopft, wenn er Erfolg hat. Betrachte ihn als eine Habenwoll-Maschine, die ausschließlich darauf programmiert wurde, seine Fähigkeit zum Habenwollen zu verbessern. Das hat er sein ganzes Leben lang eingeübt. Er ist heute in der Lage, etwas länger, intensiver und stärker haben zu wollen als noch vor fünf Jahren. Er ist so gut im Habenwollen, dass nichts, was er bekommt, ihm je genug sein könnte.«
    »Also vermeidet er die Dinge, die er haben will, damit er weiterhin danach verlangen kann?«, fragte Sam.
    »Im Grunde ja«, sagte Simon. »wenn ich pingelig wäre, könnte ich einwenden, dass es so etwas wie eine ›Sache, die er haben will‹ eigentlich gar nicht gibt. Charlie hat recht – wenn es wirklich sein größter Wunsch gewesen wäre, in

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