Das fremde Haus
dass er …
Dass er was? Dir bestätigt, dass es real ist, dass du es dir nicht nur eingebildet hast?
Ich bilde mir keine Dinge ein, die gar nicht da sind. Das tue ich nicht. Manchmal ängstigen mich Dinge, die mir vielleicht keine Angst machen müssten, aber das ist nicht dasselbe. Ich weiß, was wahr ist und was nicht. Mein Name ist Catriona Louise Bowskill. Wahr. Ich bin vierunddreißig Jahre alt. Wahr . Ich wohne im Melrose Cottage in Little Holling, Silsford, mit meinem Mann Christian, der immer schon Kit genannt wurde, genau wie ich immer Connie genannt wurde. Wir haben eine eigene Firma – sie heißt Nulli Secundus. Wir sind Daten-Management-Berater, oder vielmehr, Kit ist es. Mein offizieller Titel ist Finanzdirektorin und Geschäftsführerin. Kit arbeitet Vollzeit für Nulli Secundus. Ich Teilzeit, drei Tage die Woche. Dienstags und donnerstags arbeite ich im Geschäft meiner Eltern, Monk & Sons Fine Furnishings, unter einer altmodischeren Berufsbezeichnung: Buchhalterin. Meine Eltern heißen Val und Geoff Monk. Sie wohnen ein Stückchen weiter die Straße hinunter. Ich habe eine Schwester, Fran, die zweiunddreißig ist. Sie arbeitet ebenfalls für Monk & Sons: sie leitet die Gardinen- und Jalousien-Abteilung. Sie hat einen Lebensgefährten, Anton, und beide haben einen fünfjährigen Sohn, Benji. Alle diese Dinge sind wahr, und es ist ebenfalls wahr – auf genau dieselbe Weise wahr –, dass ich vor weniger als zehn Minuten einen virtuellen Rundgang durch ein Haus unternommen habe, Bentley Grove 11 in Cambridge, und eine tote Frau auf einem blutgetränkten Teppich liegen sah.
»Bingo: das Wohnzimmer«, höre ich Kit sagen. Als ich seinen Ton höre, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Wie kann er so gedankenlos daherreden, es sei denn …
»Interessanter Couchtisch. Etwas bemüht allerdings, würde ich sagen. Keine Tote, kein Blut.«
Was? Wovon redet er? Er irrt sich. Ich weiß doch, was ich gesehen habe.
Ich schiebe die Tür auf und zwinge mich, das Arbeitszimmer zu betreten. Nein. Das ist unmöglich . Auf dem Bildschirm dreht sich langsam das Wohnzimmer, aber es ist keine Leiche darin – keine Frau mit dem Gesicht nach unten, keine riesige rote Lache. Der Teppichboden ist beige. Als ich näher trete, sehe ich einen Flecken in der Ecke, aber … »Es ist nicht da«, sage ich.
Kit steht auf. »Ich gehe wieder ins Bett.« Seine Stimme ist eisig vor Wut.
»Aber … wie kann das einfach verschwinden?«
»Tu das nicht.« Er ballt die Hand zur Faust und schlägt gegen die Wand. »Wir werden das jetzt nicht ausdiskutieren. Ich habe eine gute Idee: reden wir nie wieder davon. Tun wir einfach so, als wäre es nie passiert.«
»Kit …«
»Ich kann so nicht weitermachen, Con. Wir können so nicht weitermachen.«
Er drängt sich an mir vorbei. Ich höre die Schlafzimmertür zuknallen. Zu geschockt, um zu weinen, setze ich mich auf den Stuhl, der noch warm ist von Kits Körper, und starre auf den Monitor. Als das Wohnzimmer verschwindet, warte ich, bis es wieder erscheint, für den Fall, dass die Tote und das Blut ebenfalls wieder auftauchen. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber das, was bereits geschehen ist, ist ebenfalls unwahrscheinlich, und es ist trotzdem passiert.
Ich sehe mir den virtuellen Rundgang vier Mal an. Jedes Mal, wenn die Küche ausgeblendet wird, halte ich den Atem an. Jedes Mal erscheint ein makelloses Wohnzimmer ohne Tote, ohne Blut. Schließlich, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, klicke ich auf den x-Button in der rechten oberen Ecke des Bildschirms, um den Rundgang abzubrechen.
Das ist unmöglich.
Ein letztes Mal, diesmal ganz von vorn. Ich starte den Internet Explorer neu, gehe wieder zu Roundthehouses, vollziehe jeden meiner Schritte nach: finde erneut das Objekt Bentley Grove 11, klicke auf den Video-Button, setze mich hin und schaue es mir an. Keine Frau. Kein Blut. Kit hat immer noch recht. Ich liege immer noch falsch.
Ich knalle den Laptop zu. Ich sollte die Scherben auffegen und die echten Blutspuren auf meinem eigenen Teppich beseitigen. Ich starre auf die Eintragungsurkunde von der Handelsregisterbehörde, die in ihrem zersplitterten Rahmen auf dem Fußboden liegt. In meinem Schock über den Anblick der Toten muss ich sie von der Wand gerissen haben. Kit wird sich darüber aufregen. Als ob er nicht schon genug Gründe hätte, sich aufzuregen.
Eine Urkunde neu rahmen zu lassen ist leicht. Zu entscheiden, was ich wegen einer Toten unternehmen soll, die
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