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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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fahre ich mit falscher Munterkeit fort. So knapp und präzise wie möglich, aber ohne eins der schauerlichen Details auszulassen, erzähle ich Grint von meinem Haarausfall, dem Übergeben, der Gesichtslähmung – wie meine verschiedenen Symptome 2003 unser Entrinnen nach Cambridge sabotierten. »Seitdem bereue ich, dass wir nicht umgezogen sind. Ich habe eine gewisse Schwäche für Cambridge. Ich habe es mir im Kopf zu einem … zivilisierten, schönen Paradies aufgebaut, unerreichbar für Leute wie mich. Sogar den Aufenthalt hier, auf einem Polizeirevier – ich kann nicht behaupten, dass ich ihn genieße, aber ich würde lieber hier unter Mordverdacht stehen als irgendwo sonst.« Im Stillen gratuliere ich mir zu dieser bravourösen Vorstellung: Die Person, die ich vorgebe zu sein, schirmt mich vor dem Schmerz ab, den ich sonst empfinden würde. Wenn Grint ein fähiger Ermittler ist, sollte er in der Lage sein, den Unterschied zwischen Verrücktheit, Exzentrizität und Humor zu erkennen.
    »Ich nehme das als Kompliment«, sagt er.
    »Cambridge, das ist für mich wie … derjenige, der entkommen konnte, wenn das irgendeinen Sinn ergibt. Kit nennt es mein ›Land versunkener Geborgenheit‹. Das ist ein Zitat aus einem Gedicht.«
    »A. E. Housman.« Grint lächelt. »›Die Weise tötet, die in meinem Herzen singt: / Wo kommt sie her? Sie kommt von weit; / von Hügeln, blauend in Erinnerung; sie klingt / von Giebeln, Türmen und Tälern breit. / Das ist das Land versunkener Geborgenheit. / Ich seh die Straße meines Glücks, / vor mir wie in der Jugendzeit; / doch niemals finde ich den Weg zurück.‹«
    Ich fange an zu lachen und kann nicht mehr aufhören.
    »Connie.« Sam legt die Hand auf meinen Arm.
    »Was ist so witzig?«, fragt Grint.
    »Nur in Cambridge ist es möglich, dass Polizisten Lyrik zitieren. Sie verstärken alle meine vorgefassten Meinungen.«
    »Hältst du vielleicht mal den Mund«, fährt Kit mich an, und zum ersten Mal, seit wir hier sind, sieht er mich an. »Du bist peinlich.«
    Ich drehe mich zu ihm um. »Ich mache dir Angst, willst du wohl sagen. Ich habe dich durchschaut, und deswegen hasst du mich. Schau dich doch an – du machst dir ja kaum noch die Mühe, den Schein aufrechtzuerhalten! Du hast so viele Lügen erzählt, dass dir die Energie ausgeht. Kleine Widersprüche schleichen sich ein – wenn ich in deinem Wagen durch den Bentley Grove gefahren bin, dann ist das mein Mantel, den man durchs Rückfenster sieht, oder? Warum also behaupten, dass es ein anderes Pink ist?«
    »Mrs Bowskill –«, versucht Grint einzuwerfen.
    Ich spreche lauter, um ihn abzublocken. Ich will Kit wehtun, ihn so tief verwunden, wie ich kann. »Glaubst du ernsthaft, du könntest mich dazu bringen zu glauben, dass ich unter einer Art multipler Persönlichkeitsstörung leide? Dass mein unbewusstes Ich ein Verbrechen begangen hat, von dem mein bewusstes Ich nichts ahnt? Das ist doch grotesk! Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Du bist derjenige, der peinlich ist! Es hat noch nicht mal eine innere Logik: Wenn ich jede Erinnerung daran unterdrückt hätte, dass ich eine Frau getötet habe, würde die Erinnerung daran doch sicherlich jetzt zurückkehren, wo wir in aller Ausführlichkeit über diese Möglichkeit sprechen, oder?«
    Grint erhebt sich. »Wie wär’s, wenn ich Ihnen sage, warum Sie hier sind?«
    Ich höre einen tiefen Seufzer. Ich kann nicht genau sagen, von wem er kommt, von Kit oder von Sam.
    »Eine Frau namens Jackie Napier wartet in einem Vernehmungsraum eine Etage tiefer. Sagt der Name einem von Ihnen beiden etwas?«
    »Nein«, entgegne ich. Kit schüttelt den Kopf. Vielleicht kommen wir ja weiter, wenn ich ihn dazu bringen kann, mich zu hassen. Wenn er nicht länger fürchtet, dass es mich zerstören könnte, wird er mir vielleicht die Wahrheit sagen.
    »Jackie hat sich fast zur selben Zeit wie Sie auf der Roundthehouses-Seite eingeloggt – am Samstag in den frühen Morgenstunden.« Grint beobachtet mich, wartet auf eine Reaktion. Ich versuche mitzukommen, seine Worte zu verarbeiten. Was mich anbelangt, gibt es lediglich vier Personen in meinem Albtraum: mich, Kit, Selina Gane und die Tote. Keine Jackie. »Sie hat Bentley Grove 11 angeklickt«, fährt Grint fort. »Genau wie Sie hat sie den virtuellen Rundgang gemacht. Raten Sie mal, was sie gesehen hat.«
    Die Galle kommt mir hoch. Ich presse den Mund fest zusammen, aus Angst, ich könnte mich übergeben.
    »Sie hat gesehen, was Sie gesehen

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