Das fremde Haus
auf den Anrufbeantworter gesprochen. In manchen Hotels, in denen ich gewohnt habe, durften die Gäste das. Ich warte und frage mich, ob ich gleich ihre Stimme hören werde. Was sie wohl sagen wird.
Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton, und ja, ich habe eine Affäre mit Ihrem Mann.
»Hallo?«
O Gott. Verdammt, verdammt, verdammt. Was soll ich denn jetzt machen?
Du wolltest doch mit ihr reden, oder?
»Spreche ich mit Selina Gane?«
»Ja.«
Ich kann das nicht. Ich kann nicht. Aber ich muss.
»Ich bin’s. Connie Bowskill. Ich bin die, die Ihnen …« Ich halte inne. Was genau habe ich denn getan? »Ich bin die Frau, die –«
»Ich weiß, wer Sie sind.« Sie schneidet mir das Wort ab. »Wie haben Sie herausgefunden, wo ich wohne? Wie sind Sie an die Schlüssel zu meinem Haus gekommen?«
»Ich habe keine –«
»Lassen Sie mich in Ruhe! Sie sind ja krank! Ich weiß nicht, was mit Ihnen los ist oder was für ein Spiel Sie spielen, und ich will es auch gar nicht wissen. Ich rufe die Polizei.«
Ein Klicken, dann ist die Leitung tot.
Ich beginne zu zittern und spüre eine Eiseskälte in der Magengrube. Als ich versuche, das Zittern zu unterdrücken, wird es schlimmer. Mein erster Impuls ist, Sam anzurufen, mit der Polizei zu sprechen, bevor Selina Gane es tut, und zu versichern, dass es nicht wahr ist – ich habe keinen Schlüssel zu ihrem Haus, ich weiß überhaupt nicht, wovon sie redet. Ich kann nicht klar denken. Wenn die Tote wirklich da war, wird man mich dann des Mordes anklagen? Aber wie kann das sein, ich habe doch nichts getan, ich weiß gar nichts. Vielleicht lügt Selina Gane nicht, vielleicht ist es irgendein Irrtum. Ich muss es erklären …
Nein. Denk nach, Connie. Wenn du Sam anrufst, wird er dich überreden, zum Polizeirevier zurückzukehren, zurück zu Grint. Und Grint wird dich nicht dorthinbringen, wo du hinwillst.
Ich muss in dieses Haus gelangen. Das ist die einzige Möglichkeit. Ich habe mir die Fotos wieder und wieder angesehen, aber ich bekomme das fehlende Detail nicht zu fassen, den Schatten, der jedes Mal aus meinem Blickfeld verschwindet, wenn ich versuche, ihn ins Visier zu nehmen. Ich muss in das Haus gelangen – ich muss selbst in diesem Wohnzimmer stehen, obwohl es das Letzte ist, was ich will, und obwohl mir schon beim bloßen Gedanken daran übel wird. Vielleicht werde ich das fehlende Teil dann zu fassen bekommen.
Ich wünschte, ich hätte tatsächlich den Schlüssel zu dem Haus. Dann könnte ich mir den Anruf sparen, den ich gleich machen werde. Ich wühle in meiner Handtasche herum und fördere schließlich eine alte Sainsbury-Quittung zutage. Auf der Rückseite steht eine Telefonnummer: 0843 315 6792. Ich habe sie vor etwa anderthalb Stunden auf Grints Computerbildschirm gesehen und mich gefragt, warum sie mir bei Roundthehouses nie aufgefallen war. Es ist die Nummer, die man anrufen kann, wenn man das Objekt Bentley Grove 11 besichtigen will oder gern nähere Informationen hätte. Während Grint, Sam und Kit damit beschäftigt waren, auf das undeutliche schwarze Auto zu starren, entschuldigte ich mich, ging auf die Toilette und schrieb mir die Nummer auf.
Jetzt tippe ich die Nummer ein und drücke auf »Anrufen«.
»Connie!«
Kit kommt auf mich zugerannt. Zum Weglaufen bleibt keine Zeit. Ich rolle mich zu einer Kugel zusammen, schlinge die Arme um meine Knie und umklammere das Telefon fester. Er wird mich nicht davon abhalten können, das zu machen.
»Gott sei Dank. Ich dachte schon, du –«
»Still.«
»Wen rufst du an?«
»Still, sagte ich.« Geh schon ran. Geh schon ran.
»Lorraine Turner«, antworte ich mit harter Stimme. »Sie hat ein Haus zu verkaufen. Ich werde einen Besichtigungstermin vereinbaren.«
Kit stößt eine leise gezischte Obszönität hervor und schüttelt den Kopf. Ich versuche, nur auf den Klingelton zu achten, weil er mir lieber als das Geräusch des Abscheus, das von meinem Mann kommt. Geh doch ran. Bitte.
»Glaubst du etwa, sie werden da Interessenten rumführen? Eine Frau wird in dem Haus ermordet, und die Polizei vergisst dem Makler mitzuteilen, dass er mit den Besichtigungen aussetzen muss, oder was? Was zum Teufel ist los mit dir? Sieh dich doch mal an, du kauerst da auf dem Boden wie eine … Weißt du überhaupt noch, was du tust?«
Er hat recht. Ich habe nicht nachgedacht. Natürlich wird Grint sie angewiesen haben, niemanden durch das Haus zu führen. In Bentley Grove 11 muss es von Polizisten nur so
Weitere Kostenlose Bücher