Das fünfte Buch: Neue Lebensläufe. 402 Geschichten (German Edition)
Gewaltsamkeit als Arbeitseigenschaft
Die Grundform der meisten mechanischen Arbeitseigenschaften, welche die menschlichen Körper auszuführen vermögen und die (auf Werkzeuge und Maschinen übertragen) zwischen den Menschen und die Arbeitsgegenstände treten, beruht auf der Anwendung unmittelbarer Gewalt. Bei der Umarmung ist dies mehr oder weniger doppeldeutig: Wo sie nicht-gewaltsam ist, bewahrt sie die Autonomie des Umarmten. Als Vereinnahmung, Ringkampf, politische Taktik des Untergehenlassens der Gegenposition in der politischen Umarmung ist sie sicher ebenso gewaltsam wie Stoßen, Hebeln, Zwängen, Sicheln, Hämmern.
Die Unterscheidung liegt zunächst nur in der direkten oder indirekten Anwendung solcher Gewalt oder in dem Maß, in dem die Gewalt die Gegenwirkung des Anderen, also das, was Fallenstellen oder Listen ausmacht, einbezieht oder nicht. Von dieser Unterscheidung ausgehend gibt es Gewalt, die auf die Eigenschaften des Gegenstandes eingeht, und solche, die dies nicht tut. Der Otto-Motor zum Beispiel beruht auf dem Prinzip permanenten Explodierens. Alle Einzelkomponenten dieser Erfindung sind zerstörerisch. Im Aggregat treiben sie Fahrzeuge an. Unvollständige Produktionsprozesse, also die brüchige Versammlung von Arbeitseigenschaften dieser Art oder ihre naive Anwendung in Bereichen, in denen sie nicht erprobt wurden, führen regelmäßig zur Zerbeulung. Man kann alle Anwendungen des Prinzips von »Versuch und Irrtum«, gattungsgeschichtlich und individualgeschichtlich, für eine Arbeitseigenschaft halten. Ihr steht das größte Arsenal an Werkzeugen zur Verfügung. Sie sind sämtlich robust. Ihr Problem liegt in der Dosierung, für deren exakte Steuerung die Arbeitseigenschaften der Gewaltsamkeit keine Kriterien kennen.
BEHUTSAMKEIT, SICH-MÜHE-GEBEN, KRAFT- UND FEINGRIFFE
Für die Eigenschaften, die in menschlichen Körpern die Muskeln, die Nerven und die Hirne, übrigens auch die Haut, also sämtliche Rückkopplungssysteme assoziativ miteinander vereinigen (sog. »Rücksicht«), ist die Unterscheidung zwischen Kraft- und Feingriffen die bedeutendste evolutionäre Errungenschaft. Auf ihr beruht die Steuerungsfähigkeit, die allerdings durch Außendruck, der die Selbstregulierung stört, am leichtesten zu erschüttern ist. Selbstregulierung ist die ausgeführte Dialektik in der Beziehung zwischen Kraft- und Feingriffen.
List scheint etwas, gemessen an Gewalteingriffen, prinzipiell Gewaltloses zu sein. Indem ich mich listig verhalte, weigere ich mich, die Dinge frontal anzugreifen, und mache den Versuch, die inneren Kraftverhältnisse der Gegenstände für mich in Bewegung zu setzen. In der Tat verknüpft sich aber das listige Verhalten mit den Kräften des Gegners in einer Weise, die zu einer Umkehrung der Richtung dieser Kräfte führt, bis zur Verkehrung ins Gegenteil. Die Kräfte werden dorthin gelenkt, wo sie von sich aus unter keinen Umständen hinwollen. Das aber bezeichnet man als Gewalt.
Das Greifen
Bei der Mehrzahl der Arbeitsbewegungen werden zunächst Arbeitsgeräte, Hebel und Werkstücke ergriffen und sodann in Bewegung gesetzt. Die Art des Zugreifens und die Bewegung selbst sind voneinander abhängig. Zweckmäßiges oder unzweckmäßiges Ergreifen begünstigen oder hemmen den Bewegungsablauf. Ebenso sind das Loslassen oder Absetzen eines Gegenstandes von der vorangegangenen Art der Bewegung abhängig. Entsprechendes gilt, wenn eine Bewegung vorausgeht, um einen Gegenstand heranzuholen oder etwa ein Bedienungselement zu betätigen.
Die Hand hat bei solchen Verrichtungen nicht nur die Aufgabe des Haltens; sie muß zugleich auch als Wahrnehmungsorgan tätig sein. Der bei der Betätigung von Bedienungsgriffen notwendige Druck muß so gewählt werden, daß noch ein entsprechendes Feingefühl der Hand möglich ist.
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Abb.: Links: Breitgriff, Mitte: Spitzgriff, Rechts: Daumengriff.
Nach: Baeyer, H. v., Der lebendige Arm , Jena, Fischer, 1930, Tafel 7 und 8, und Giese, Fr., Psychologie der Arbeitshand , Berlin und Wien, Urban und Schwarzenberg, 1928, S. 32.
Giese (S. 31) kommt durch Bezugnahme auf die zu ergreifenden Gegenstände auf zwölf Typengriffe, die er nur zeichnerisch darstellt (Abb. 9). Davon sind die Nr. 3, 6, 11 eindeutig Breitgriffe, Nr. 9 und 12 Abwandlungen dieser von allerdings spezifischer Ausprägung, Nr. 2, 4, 5, 7 und 10 sind Spitzgriffe, Nr. 8 ein Daumengriff. Nr. 1 könnte als ein weiterer Breitgriff angesehen werden, stellt aber wohl eher eine
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