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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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einschwebte.
    Kleiber kannte die Stadt von früheren Reisen und hatte ein Hotel am North Harbor Drive reserviert, von wo der Blick über die San Diego Bay zur Insel Coronado schweifte. Am Pier ankerte die ›Star of India‹, ein mehrfach umgebautes Segelschiff aus dem vorigen Jahrhundert, das nun als Museum diente. Und die Zimmer im sechsten Stock – Adrian hatte bewußt zwei nebeneinander liegende Einzelzimmer gebucht – erreichte man mit einem Lift, der an der Außenfassade des Hotels nach oben schwebte.
    Den ersten Tag verbrachten sie schlafend, unterbrochen nur von einem Abendessen und einem kurzen Spaziergang zur Endstation der Santa-Fé-Eisenbahn. Als sie am folgenden Morgen erwachten, schimmerte die Bay türkisfarben in der Sonne, als gäbe es hier kein anderes Wetter.
    Gegen Mittag mieteten sie einen Wagen, um nach Bonita im Süden der Stadt zu fahren, wo, wie der freundliche Portier, ein junger Mexikaner, erklärt hatte, das gesuchte Haus zu finden sei. Also fuhren sie den Freeway Nr. 5 in Richtung Tijuana, verließen die Schnellstraße nach zehnminütiger Fahrt an der Ausfahrt East Street, durchquerten eine kilometerlange Vorstadtsiedlung mit Schnellrestaurants, Tankstellen und Supermärkten und gelangten so geradewegs auf die Bonita Road, von der nach zwei Kilometern, über die sich zur linken ein gepflegter Golfplatz erstreckte, an einer Ampel eine Straße abzweigte, die den weiten Hang hinauf zu der angestrebten Adresse führte.
    Das flache, wie die meisten Häuser der Umgebung mit Holzschindeln gedeckte Holzhaus lag, von der Straße gesehen, etwas tiefer und bot einen atemberaubenden Blick über das Tal. Orangenbäume verrieten die Vorliebe der Bewohner für Grünkultur, vor allem Strelitzien und meterhohe Agaven verliehen dem im übrigen eher schlicht wirkenden Haus eine gewisse Exotik.
    Aurelia Vossius war nicht zu Hause, aber die Nachbarin, eine schwarzhaarige Ostasiatin, die hier mit ihrem Mann während des Koreakrieges eine Bleibe gefunden hatte – wie sie ihnen freimütig erzählte –, erklärte, Mrs. Vossius arbeite beim City Council von San Diego und kehre meist gegen 17 Uhr zurück, ob sie etwas ausrichten könne.
    Adrian und Anne verneinten und kündigten an, sie würden nach drei Stunden wiederkommen. Zeit genug für einen Trip nach Coronado, das mit dem Festland über eine hohe Brücke verbunden ist, welche die Bay von San Diego wie der runde Bogen einer Laute überspannt.
    Als sie zum Bonita View Drive zurückkehrten, hatte Mrs. Vossius bereits Kunde von ihrem Besuch; auch daß es sich bei den Fremden um Deutsche handeln mußte, hatte die Nachbarin bereits gemeldet.
    Aurelia Vossius, eine zierliche Amerikanerin aus Nebraska, die nach dem Marinedienst in San Diego hängengeblieben war, begegnete ihnen mit amerikanischer Höflichkeit, ohne ein gewisses Mißtrauen abzulegen. Erst als Anne Aurelias Brief an Marc Vossius hervorzog – sie erkannte ihn auf den ersten Blick wieder –, wich die Unsicherheit aus ihrem Blick, und sie bat die Besucher ins Haus.
    Sie hatten sich abgesprochen, ihren Mordverdacht im Falle Vossius nicht zu erwähnen, da ihnen Beweise fehlten für diese Tat und die Information nur auf dem Hinweis des zwielichtigen Pflegers beruhte; aber, dachten sie, über den Tod des Professors durften sie seine geschiedene Frau nicht im unklaren lassen. Schließlich war das auch der Grund, warum sie, Anne und Adrian, in den Besitz des Nachlasses gekommen waren, aus dem dieser Brief stammte.
    Mrs. Vossius, in deren Erscheinungsbild die Zähigkeit und Beherrschtheit zutage trat, die kleinwüchsigen Menschen eigen ist, nahm die Nachricht unerwartet gelassen auf, obwohl sie – und das konnte man der Reaktion auf den alten Brief entnehmen – zu Vossius noch eine starke Bindung hatte. Sie wußte auch nichts von dem Säureattentat ihres Ex-Mannes, doch schien sie dieses nicht ungewöhnlich zu beeindrucken; jedenfalls kam es den Besuchern vor, als sei sie in der Vergangenheit Kummer gewöhnt gewesen, was das eigenwillige Verhalten des Professors betraf.
    Um ihr Vertrauen zu gewinnen, und damit Aurelia Vossius sah, daß Annes Schicksal und das des Professors auf rätselhafte Art und Weise verknüpft waren, holte Anne weit aus und schilderte wahrheitsgemäß den Tod ihres Mannes und die damit verbundenen Ereignisse, die sie letztlich hierher geführt hatten.
    Gleiches Schicksal verbindet, und Mrs. Vossius gewann allmählich Zutrauen zu den Fremden, sie legte ihre anfängliche

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