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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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verlassen. Es habe Auseinandersetzungen gegeben, weil der Professor darauf bestand, seine Entdeckung zu veröffentlichen. Die Orphiker hingegen hätten das Wissen für sich behalten wollen, weil, wie sie sagten, Wissen die einzig wahre Macht auf Erden sei. Marc habe nie erklärt, was das eigentlich Brisante an seiner Entdeckung gewesen sei; er habe nur angedeutet, sie sei geeignet, den ganzen Vatikan zum Museum und den Papst zu einer Operettenfigur werden zu lassen.
    »Der Professor war offensichtlich kein Freund der Päpste«, stellte Adrian mit einem Schmunzeln fest.
    »Er haßte sie«, ergänzte Mrs. Vossius. »Er haßte sie mit aller Leidenschaft, nicht aus Glaubens-, sondern aus Wissensgründen. Er war von der Idee besessen, Galileo Galilei zu rächen, dem die Inquisition so übel mitgespielt und den die Kirche bis heute nicht rehabilitiert hat. Der 22. Juni war für ihn immer ein Gedenktag, an dem er sich meditierend irgendwohin zurückzog und Rache schwor.«
    Anne, die den Worten Mrs. Vossius' wie gebannt folgte, erkundigte sich: »Was bedeutet der 22. Juni?«
    »An einem 22. Juni wurde Galileo von der Inquisition verurteilt, dem kopernikanischen System abzuschwören. Allein der Gedanke an dieses Ereignis machte Marc krank und aggressiv, weil, wie er sich ausdrückte, die Dummheit über das Wissen gesiegt habe.«
    Diese Aussage war geeignet, den merkwürdigen Charakter des Professors Marc Vossius zu erklären. Mit einem Mal fügte sich sogar das Säureattentat auf das Leonardo-Gemälde in dieses Bild. Vossius brauchte die Öffentlichkeit seines Falles, um die Menschen auf seine Entdeckung aufmerksam zu machen.
    »Und Sie haben keine Ahnung«, fragte Anne nach, »welche Entdeckung der Professor gemacht hatte?«
    Mrs. Vossius sah den beiden in die Augen, als wollte sie ihre Vertrauenswürdigkeit prüfen. Sie holte tief Luft, ohne jedoch zu antworten. Seit einer Reihe von Jahren schleppte Aurelia Vossius Dinge mit sich herum, über die sie mit niemandem reden konnte, von denen nur sie wußte, und nun kamen zwei Fremde, und sie sollte ihnen alles beichten?
    Andererseits ließ sie der Gedanke nicht los, daß sie und die fremde Frau eine Art Schicksalsgemeinschaft verband; jedenfalls zweifelte sie nicht daran, daß auch von Seydlitz einem Anschlag zum Opfer gefallen war. Dies gab wohl den Ausschlag für ihre Entscheidung.
    Sie stand auf. »Kommen Sie mit«, sagte sie. Sie führte Anne und Adrian in ein kleines, quadratisches Zimmer, dessen Fenster zum Garten mit Sträuchern beinahe zugewachsen war, so daß kaum Licht eindringen konnte. Unzählige alte Bücher und ein nackter Schreibtisch ließen kaum Zweifel aufkommen, daß es sich dabei um das Arbeitszimmer des Professors handelte.
    »Es mag Ihnen merkwürdig erscheinen«, bemerkte Mrs. Vossius, »aber ich habe seit Marcs Weggang nichts verändert. Sie können sich ruhig umsehen.«
    Eher aus Verlegenheit – in Gedanken war Anne mit dem seltsamen Verhalten Aurelias beschäftigt – betrachtete sie die Bücherreihen an den Wänden, und zu ihrer Verblüffung stellte sie fest, daß es sich um eine Ansammlung von Bibeln und Kommentaren über das Neue Testament handelte, Bücher in allen Sprachen, und manche mehrere hundert Jahre alt. Die Folianten verbreiteten einen ätzenden Geruch.
    »Mein Mann hat ein bisher unbekanntes Evangelium gefunden, sozusagen das Urevangelium, auf dem die vier anderen Evangelien fußen«, sagte Mrs. Vossius ruhig. »Das heißt, Marc entdeckte nur Teile davon. Sie stammen aus einem Pergamentfund, der vor einer Reihe von Jahren in Minia, in Mittelägypten, gemacht wurde. Auf der Suche nach Kalkstein stieß ein Steinschleifer auf das Versteck. Er schenkte die alte Pergamentrolle seinen drei Söhnen, und die teilten sie untereinander auf, und jeder machte seinen Teil zu Geld. Marc hat versucht, die Einzelteile wieder aufzuspüren. Dabei merkte er schon bald, daß auch andere hinter diesen Fragmenten her waren, und daraus entwickelte sich ein regelrechter Krieg.«
    Aurelias Erklärung brachte Anne Seydlitz völlig aus der Fassung. »Dieses Evangelium«, sagte sie tonlos vor sich hin, »muß wohl Fakten enthalten, die irgendwelche Leute geheimhalten wollen …« In Gedanken war Anne bei Guidos Unfall. Für sie gab es jetzt kaum noch Zweifel, daß Guido Opfer eines Attentats geworden war, um in den Besitz des Pergaments zu gelangen.
    »Da, sehen Sie nur!« Mrs. Vossius zog einzelne Bücher aus den Regalen, schlug sie auf und hielt sie Anne vors

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