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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Hundert-Dollar-Scheine.
    Kessler, dem jedes Verhältnis zum Geld abging, hatte keine Ahnung, wieviel das sein mochte, zehn-, fünfzig- oder hunderttausend? Aber diese Entdeckung bestärkte ihn in der Ansicht, daß mit Losinski irgend etwas nicht stimmte, und während er den Koffer verschloß, auf den Schrank hievte und den Schlüssel in die Lade zurücklegte, machte Kessler sich Gedanken, was der Mitbruder für ein Spiel trieb, ob er Helfershelfer hatte und welches Ziel er verfolgte.
    Situationen wie diese sind geeignet, einen Spürhund auf eine falsche Fährte zu locken, weil eine Witterung alle anderen Empfindungen überlagert. Deshalb hielt Kessler sich nicht mit weiteren Überlegungen auf und forschte nach Indizien, die geeignet waren, Losinski auf irgendeine Weise zu entlarven.
    Die Schubladen des Sekretärs, drei auf der linken, drei auf der rechten Seite, von deren Inhalt sich Kessler am meisten versprach, erwiesen sich als wenig ergiebig, weil er in der Unordnung, die eher einem wirren Geist als einem Mitglied Societatis Jesu zukam, keinen Gegenstand ausfindig machen konnte, der geeignet war, Rückschlüsse auf Losinskis Absichten oder Umgang zu ziehen.
    So wandte sich Kessler abermals der linken Schranktüre zu, hinter der er Bücher und Akten wußte. Bücher haben etwas Verräterisches; aufs Hinterhältigste aber entlarven Bücher, die man nicht hat. Ein kurzer Blick genügte Kessler, um zu erkennen, daß Losinski an Erbauungsliteratur, die dem frommen Christenmenschen zu Gebote steht, überhaupt nicht und an theologisch-philosophischen Werken jesuitischer Tradition nur wenig interessiert war. Dafür stachen ihm ketzerische Druckwerke ins Auge wie The History of the Knights Templar's oder Die messianische Unabhängigkeitsbewegung vom Auftreten Johannes des Täufers bis zum Untergang Jakobs des Gerechten, nach der neuerschlossenen Eroberung von Jerusalem des Flavius Josephus und den christlichen Quellen, oder Die biblische Erlösererwartung als religionsgeschichtliches Problem oder Die physiologische Unmöglichkeit des Todes Christi am Kreuz oder Die Wunderüberlieferung der Synoptiker in ihrem Verhältnis zur Wortüberlieferung – ein jedes geeignet, den christlichen Glauben zu verunglimpfen.
    Hatte Manzoni recht, wenn er sagte, Losinski sei ein Ketzer? Warum in aller Welt beschäftigte er dann diesen Ketzer in einem Projekt, das von so fundamentaler Bedeutung für die Kirche war?
    Für Kessler gab es dafür nur eine einzige Erklärung: Manzoni mochte Losinski verachten, er mochte ihn hassen, aber er brauchte sein Wissen. Daß der Pole klüger und gebildeter war als alle anderen, stand außer Frage; dies allein hatte ihm viele Feinde geschaffen. Aber war Losinski wirklich unersetzlich? Drängte sich da nicht die Frage auf, ob der wenig geachtete Losinski nicht nur deshalb in ihren Reihen gehalten wurde, weil er an anderer Stelle mehr Schaden anrichten konnte als in der Gregoriana?
    Was wußte Losinski?
    Zwischen Aktendeckeln entdeckte Kessler Abklatsche, Skizzen, Rekonstruktionen und Kopien alter Papyri und Pergamente in griechischer und koptischer Schrift. Hunderte Literaturhinweise in akkurater, winziger Schrift, die der sonstigen Unordnung widersprach, waren an den Rand geschrieben und ließen den Schluß zu, daß Losinski sich in diese Probleme verbissen hatte wie ein reißender Wolf, der das Lamm, das er in den Fängen hat, nicht mehr losläßt. Kessler fehlte die Ruhe, sich mit den einzelnen Blättern auseinanderzusetzen, doch im Vorübergehen konnte er feststellen, daß es sich allesamt um ur- und frühchristliche Texte handelte, Losinskis Spezialgebiet. Zahlreiche Zeichnungen und Fotografien des Titus-Bogens, eines römischen Bauwerkes des gleichnamigen Kaisers, ließen nur den einen Schluß zu, daß Losinski sich mit einem Problem außerhalb der Gregoriana beschäftigte oder beschäftigt hatte.
    Ein zwischen zwei dicken Kartons mit besonderer Sorgfalt aufbewahrtes Blatt erregte das Interesse des jungen Jesuiten, weil es, mit einer durchsichtigen Folie luftdicht verschlossen, aufs Haar jenem Fragment glich, dessen Übersetzung er wenige Tage zuvor geliefert hatte. Der Schein trog jedoch, weil der koptische Text dem seinen nur ähnlich, aber keinesfalls gleich war. Dieses fragmentarische Schriftstück war ungewöhnlich gut erhalten und leserlich, so daß Kessler sich, ohne es zu wollen, an der gebräunten Schrift versuchte und dabei vorging, wie unter Paläographen üblich, indem er sich zuerst den

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