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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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am leichtesten lesbaren Wörtern widmete wie Orts- und Eigennamen oder dem Subjekt des Satzes, sofern es als solches kenntlich am Satzbeginn stand.
    Auf diese Weise stieß er gleich zu Beginn auf einen Namen, der ihn innehalten ließ, weil er ungewöhnlich und selten war wie der Name Jesus, vor allem in einem koptischen Text. Der Name lautete Barabbas.
    Barabbas?
    Kesslers Gedanken wurden jäh unterbrochen, weil sich auf dem Gang schlurfende Schritte näherten. Deshalb legte er die Folie hastig zwischen die Kartons zurück und verstaute diese an der Stelle, wo er sie entnommen hatte. Er hielt die Luft an und lauschte. In Augenblicken wie diesen werden Sekunden zu Stunden – jedenfalls gewann Kessler diesen Eindruck, und er wagte erst wieder zu atmen, als sich die Schritte in entgegengesetzter Richtung entfernt hatten.
    Diese Begebenheit hatte Kessler derart erschreckt, daß er am ganzen Leib zitterte; deshalb zog er es vor, seine Nachforschungen für diesen Tag zu beenden. Er tauschte die Schlüssel am Schlüsselkasten der Pforte wieder aus, zog sich in seine Zelle zurück und ließ sich so, wie er war, auf sein Bett fallen. Mit hinter dem Kopf verschränkten Händen starrte er zur Decke.
5
    S ein erster Gedanke war, er müsse sich Manzoni anvertrauen. Er erinnerte sich der Worte seines Ordensvorgesetzten, der, als ihm die Aufgabe in Rom angetragen wurde, von Integrität gesprochen hatte, die der Grund sei, warum gerade er ausgewählt worden sei, und in seinem bisherigen Leben hatte Kessler sich in der Tat nichts zuschulden kommen lassen, was Zweifel an dieser Haltung geweckt hätte. Aber redete er mit Manzoni, dann müßte er auch eingestehen, daß er in die Zelle Losinskis eingedrungen war, von den anderen Dingen dort ganz zu schweigen – bei der Reinheit der heiligen Jungfrau.
    Wie konnte er Losinski zum Sprechen bringen? Sollte er ihn einfach zur Rede stellen, ihn fragen, mit welchen obskuren Forschungen der Mitbruder befaßt sei? Der Pole würde alles abstreiten, und er, Kessler, wäre in jedem Fall der Blamierte, egal ob er sein Nachspionieren verschwieg oder ob er es offenlegte. Losinski war nicht der Mann, den das eine oder das andere aus der Fassung gebracht hätte; nein, Kessler mußte zugeben, daß er diesem Mann an Kraft und Willensstärke unterlegen war. Und wenn er es sich auch nie eingestanden hätte – in seinem Innersten begann Kessler zu zweifeln, ob er sich nicht selbst in etwas hineingesteigert hätte, ob sich all das nicht eines Tages von selbst aufklären würde wie der Stammbaum des Sem im 1. Buch Mose.
    Gewiß, da war die Sache mit dem sündigen Inhalt des Sackes in Losinskis Schrank, die einem geistlichen Kragen nicht zukam; aber hatte er sich nicht an dem liederlichen Schuhwerk mit der gleichen Lust ergötzt wie dieser? War Losinski, der seine fleischliche Lust, die auch den frömmsten Christenmenschen bisweilen mit der Macht ägyptischer Plagen verfolgt, der bessere Ordensmann, weil er seine unruhige Phantasie mit Leder und Seide befriedigte, während er – der Herr sei einem armen Sünder gnädig – an solchen Tagen die Häuser in Trastevere heimsuchte, wo in den düsteren Eingängen Frauen vor jedem Mann die Röcke heben, wenn sie überhaupt Röcke tragen, damit auch der härteste Zölibatär mit dem Unterschied konfrontiert wird, der nach dem Willen des Vaters aus Adams Rippe hervorging. Und wäre er nicht am Tage nach dem Fest des Unbefleckten Herzens Maria, als ihn in der Hitze des Sommers der Trieb übermannte, im verruchtesten dieser Etablissements Padre Francesco von den Minoriten begegnet, der ihm allwöchentlich die Beichte abnahm, er selbst hätte sich an diesem Abend nicht nur der Lust des geilen Betrachters hingegeben, sondern sich weggeworfen an eine Hure mit roten Haaren. So aber sahen beide in ihrer Begegnung einen Wink des Allerhöchsten, und sie verließen gemeinsam den Ort und sprachen nie mehr darüber.
    Was Losinskis undurchschaubare Machenschaften betraf, schien es eher ratsam, sich mit dem gescheiten Polen anzufreunden und sein Vertrauen zu gewinnen; schließlich war er es, der ihn zur Zurückhaltung bei der Übersetzung des Pergamentes gemahnt hatte – eine Aufforderung, die Kessler bis heute rätselhaft geblieben war.
    Doch der Pole machte es Kessler nicht leicht. Er ging ihm in den folgenden Tagen bewußt aus dem Weg – jedenfalls hatte er diesen Eindruck. Sogar während der Arbeit in der Gregoriana, wo die Diskussion über Wörter und Textstellen zum

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