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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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Schüssel, von unscheinbarem Aussehen wie Benedikt XV. aber wie dieser durchaus nützlich, was seine eigentliche Aufgabe betraf. Das jüngste Möbelstück war eine Liegestatt aus den Jahren Pius XII. ein dunkelrotes Ungetüm von Couch, deren Sockel den Bettkasten aufnahm.
    Das beschriebene Mobiliar drängte sich auf einer Fläche von kaum mehr als drei mal fünf Metern. Von der Decke hing eine weiße Kugel zur Beleuchtung. Es gab nur ein einziges, hohes Fenster an der der Tür gegenüberliegenden Schmalseite. Ein ehemals roter, unter vielen Sohlen braun getretener Kokoslaüfer deckte das hölzerne Parkett, das bei jedem Schritt leise ächzte und knarrte wie die Takelage eines alten Schoners.
    Kessler tappte auf Zehenspitzen durch die Zelle, obwohl diese Haltung die Geräusche in keiner Weise verhinderte, und öffnete den linken Flügel des Schrankes. Das Innere quoll über von Büchern, abgegriffenen Akten und gebündelten Briefen, auf vier Fächer verteilt – das Chaos vor Noahs Arche, bevor die Flut auf die Erde kam, kann nicht größer gewesen sein. Hinter den beiden Türen, die sich von der Mitte her öffneten, war zur Linken Wäsche gestapelt; getrennt durch eine senkrechte Wand, nahm der rechte Teil Losinskis Kleidung auf, sorgfältig gebügelte dunkle Anzüge und einen schwarzen Mantel, wie ihn Jesuiten mit Vorliebe zu tragen pflegen.
    Unten in dem Kleiderfach lag quer ein prall gefüllter Sack, nicht unähnlich einem Seesack, in dem Matrosen ihre Kleidung verstauen. Zwei Lederriemen mit Schnallen hielten die Öffnung an der Oberseite verschlossen. Kessler versuchte, den kantigen Inhalt mit den Händen zu ertasten, aber je länger er den geheimnisvollen Sack befühlte, desto größer wurde seine Neugierde, was sich in dem grünen Segeltuch verbarg. Kurzentschlossen öffnete er die Schnallen.
    »Jesus, Maria!« entfuhr es dem Jesuiten, und noch einmal »Jesus, Maria!« Kessler zog einen feuerroten, hochhackigen, spitzen Damenschuh aus dem Sack; nie im Leben hatte er derart sündhaftes Schuhwerk gefühlt. Der kleine Fuß, der dieses Kunstwerk einmal trug, mußte aufregende Biegungen vollbracht und seine Trägerin dürfte den Eindruck vermittelt haben, als stünde sie immer auf Zehenspitzen, was geeignet war, ihre schlanken Beine noch länger erscheinen zu lassen, als vom Schöpfer zugedacht. Vermutlich trug sie durchsichtige Strümpfe von schwarzer Farbe und mit einer Naht wie ein Bleistiftstrich von den Waden bis zu den Schenkeln.
    Verwirrt von schmutzigen Gedanken steckte Kessler die rote Sünde aus Leder zurück in den Sack, und er wollte diesen schon mit Abscheu schließen, doch konnte er nicht umhin, einen Blick auf den weiteren Inhalt zu werfen: lauter einzelne Schuhe unterschiedlichster Machart, luftige Sandaletten, strenge Pumps von schwarzer Farbe, sogar ein Stiefel befand sich darunter mit einem Absatz so dünn wie ein Bleistift.
    Kesslers besondere Aufmerksamkeit erweckte ein schneeweißes Gebilde mit langen weißen Bändern, er mußte es einfach hervorziehen. Seine Ahnung trog ihn nicht: Es handelte sich um den seidenen Ballettschuh einer Ballerina. »Jesus, Maria!« wie weich er war, die Sohle aus Wildleder! Kessler steckte seine Hand hinein, zog sie jedoch sofort wieder zurück, als hätte er einen Frevel begangen. Dieser Schuh war nur geschaffen für die weißbestrumpften Beine eines jungen Mädchens, die zierlich wie Blumenstiele unter einem hochgeschürzten Röckchen verschwanden. Kessler hielt inne.
    Mit einem Mal wurde ihm bewußt, daß das von Losinski in schmutziger Absicht zusammengetragene Schuhwerk ihm die gleichen sündhaften Gedanken vorgaukelte wie dem Polen, den er bei seiner Entdeckung noch verurteilt hatte. In großer Verwirrung verschloß Kessler den Sack und verstaute ihn wieder in dem Schrank. Er war gerade dabei, die breiten Türflügel zu schließen, als sein Blick auf einen unansehnlichen braunen Koffer fiel, kaum größer als ein Missale, der oben auf dem Schrankungetüm abgestellt war.
    Er mußte sich strecken, um überhaupt an den Koffer heranzukommen. Der war verschlossen. In der obersten Schublade des Sekretärs entdeckte Kessler drei verschiedene Schlüssel, von denen der kleinste dem Koffer zugehörig zu sein schien. Der Schlüssel paßte. Nach der Erfahrung mit dem sündigen Seesack war Kessler auf vieles gefaßt, und doch traute er seinen Augen nicht, als er den Deckel hob: Der Koffer enthielt Geld, sorgfältig gestapelte Dollarnoten, Zwanzig- und

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