Das fünfte Foto: Lila Zieglers fünfter Fall (German Edition)
Tatsache, die meine Kopfhaut kribbeln ließ. Ein Weg, dessen Bepflasterung bei genauerer Betrachtung verdächtig an gelben Sandstein erinnerte, führte um die Gartenlaube herum zu einer dicken Bruchsteinmauer von ungefähr einem halben Meter Höhe, etwas abgelegen im hinteren Bereich der Anlage. Direkt vor der undurchdringlichen Gebüschwand von Bodos Parzelle.
Die Mauer machte mich nachdenklich. Ansonsten vermittelte das Gelände den Eindruck, unter der rauen Oberfläche der Stadt einen funkelnden Diamanten entdeckt zu haben. Hinter den Tarnwesten und Tattoos der auf den ersten Blick etwas beängstigenden Schreber steckten engagierte Pflanzenliebhaber.
»Die Lende ist durch«, riss mich Sergej aus den Gedanken.
Der Edelstahlgrill stand auf den bekannten Waschbetonplatten aus Fietes Gartengroßhandel. Auf dem Rost brutzelte saftiges Fleisch. Vom Kamerunschaf vermutlich.
Babsi versorgte mich mit Weinschorle.
»Jungtier, eigene Zucht. Sehr zart.« Sergej legte Danner ein Stück Schaf auf den Pappteller. »Drei Euro pro Kilo. Unsere Kühltruhe ist voll.«
»Voller toter Schafe, Mäuse und Küken.« Babsi verdrehte die Augen, allerdings erst, als Sergej es nicht mehr mitbekam. Denn er hielt Danner bereits wieder sein Handy mit dem Foto eines Autos unter die Nase. Die große Blonde setzte sich zwischen Chantal und mich.
Chantal kicherte, als wäre ihr das Mäuseproblem bekannt. Mit meinem Plastikbecher wandte ich mich den beiden zu. Prickelnd-süßlicher Alkoholgeruch stieg mir in die Nase.
»Wofür denn Mäuse und Küken?«, wollte ich wissen.
Babsi und Chantal tauschten einen raschen Blick. Dann rückten sie ein bisschen dichter an mich heran.
»Als Futter.« Babsi senkte geheimnisvoll die Stimme, was sie beim Gespräch über die sexuellen Vorlieben ihres Freundes nicht für nötig gehalten hatte.
»Futter? Für was?« Ich hatte das Gefühl, die Pointe nicht mitbekommen zu haben. Meine Augen suchten automatisch die kniehohe Mauer, hinter der ich den zweiten Teich vermutete.
Chantal stand auf. »Komm mit.«
Klick.
Das Tier sieht aus wie eine Kreuzung aus Rehbock und Ziege. Es hat kurzes, braunschwarzes Fell und lange Ohren, die wie Propeller kreiseln, um die Fliegen zu verscheuchen. Es mummelt am Unkraut. Zufrieden.
Es weiß nicht, in welcher Gefahr es schwebt.
29.
Der Albtraum war keiner. Er hockte am Ufer des Gartenteichs und sonnte sich.
Ich wagte kaum zu atmen.
Ein Ungeheuer aus der Urzeit. Schlammig und moosbewachsen, als wäre es gerade aus den Tiefen der Erde hervorgekrochen. Mit scharfkantigen Knochenzacken auf dem gepanzerten Rücken, fingerlangen Klauen an den schwerfälligen Füßen und einem gewaltigen Schädel, dessen Kiefer sich zu einem messerscharfen Schnabel schlossen. Kleine, kalte Reptilienaugen starrten zwischen den dicken Hautfalten hervor. Was im ersten Moment aussah wie ein schmutziger, skurril gezackter Felsen, war in Wirklichkeit ein Monster. Mit einem Durchmesser von beinahe einem Meter musste das Ding uralt sein.
»Was ist das?«, flüsterte ich tonlos.
Ich hielt respektvollen Abstand zu der massiven, kleinen Mauer, hatte ich doch heute Nacht bereits erlebt, dass sich das Ding unerwartet schnell bewegen und mit fauchend aufgesperrtem Schnabel angreifen konnte.
»Eine Geierschildkröte«, erklärte Babsi fröhlich. »Sie gehört zu den Alligatorschildkröten. Das Ding ist Krötes ganzer Stolz, er hat es von seinem Vater geerbt. Soll um die sechzig Jahre alt sein. Ein Männchen, die werden besonders groß und sind selten.«
Der gepanzerte Dinosaurier hatte mit einer Schildkröte ungefähr so viel gemeinsam wie ein Komodowaran mit einer Eidechse.
»Gerade haben wir noch ein Weibchen dazubekommen. Kröte träumt von einer Zucht.«
Womit geklärt wäre, was Kröte nachts im Teich versenkt hatte. Ehrfürchtig starrte ich das Monstrum an. Mit seinen kleinen, kalten Augen starrte es viel weniger beeindruckt zurück.
»Bei dem hier müsstest du nur den Keilriemen austauschen, dann ist die Kiste wieder flott. Der Ulli macht dir das für ’n Hunni.«
Als ich mit Babsi und Chantal zum Tisch zurückkam, versuchte Sergej noch immer, Danner ein Auto anzudrehen. Der Schreber mit dem vernarbten Gesicht saß auf meinem Stuhl und hielt Danner sein Smartphone unter die Nase.
Ich stellte mich hinter Danner, um auch etwas sehen zu können. Das Display zeigte einen Unfallwagen mit eingedellter Tür. Ein Fiat Panda, mindestens zwanzig Jahre alt. In Türkis. Das Modell wäre mir nicht
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