Das Fünfte Geheimnis
Vielleicht tanzen Katy und ich nur auf Messers Schneide. Vielleicht bin ich auch nur erschöpft, und Katy liegt im Sterben. Angela quengelt. Und viele Menschen in diesem kleinen Boot zusammengepfercht, Tage voller Angst und Entsetzen hinter uns. Und zumindest zwei von uns sind die wunderbarsten Frauen, die ich je sah.“
„Benutze sie!“ sagte Rachel.
„Was meinst du damit?“
„Denk' darüber nach.“
Doch sie hatte schon daran gedacht. Zumindest hatte sie überlegt, wie sie ein Backup für ihre Energien bekommen könnte.
„Mary Ellen, du kümmerst dich um Angela. Isis, Sara, kommt, ich brauche eure Hilfe.“
„Was sollen wir tun?“ fragte Sara.
„Stellt euch neben mich und legt mir eure Hände auf den Rücken“, erklärte Madrone, „ja so, genau hinter meinem Herzen! Nun atmet gemeinsam tief aus und ein. Stellt euch dabei einen dahinfließenden Bach vor oder Feuer oder Licht. Was ihr wollt. Ein Strom fließt aufwärts, von der Erde durch eure Körper und dann in meinen. Behaltet dieses Bild ständig im Auge. Vielleicht vergeßt ihr es für einen Moment, aber das macht nichts, denkt aber möglichst sofort wieder daran, intensiv und kraftvoll. Und immer tief atmen! Was ich von euch brauche, ist die Grund-Energie.“
Schweigend standen sie beieinander und hielten sich.
Madrones Hände bewegten sich über Katys Bauch, während sie versuchte, sich mit den Energien der beiden Frauen anzufüllen. Es überflutete sie wie eine Woge. Es war nicht die warme Kraft, die sie von Sandy, Aviva oder Lou her kannte. Es war mehr wie das Aufflammen eines hellen Lichtes, das sie hochhob und mitriß. Doch sie spürte auch, daß Sara und Isis nicht richtig konzentriert waren. Kein Wunder, sie hatten es nie wirklich geübt. Madrone seufzte. Okay, sie würde ihr Bestes versuchen.
Unvermittelt veränderte sich die Energie. Die Luft zwischen Isis und Sara schien zu vibrieren, sich zu verdichten, leises Grollen lag in der Luft. Madrone fühlte, wie sich die Spannung zwischen ihnen steigerte. Eine Spannung, die sich zu Hingezogensein veränderte. Die Hände auf ihrem Rücken wanderten, bis sich die Fingerspitzen berührten, und elektrische Energie durchströmte sie.
„Jetzt!“ hörte Madrone die Stimme ihrer Mutter, „nütze diese Energie!“
Sie beugte sich vorsichtig über die fieberheiße Kranke, legte ihre Lippen auf Katys Stirn und schmeckte ihren Schweiß. Ihre Hände suchten und ertasteten die Spur der Krankheit in Katy. Sie ließ es an ihrem inneren Auge vorbeiziehen. Ja, da war etwas, das sie wiedererkannte. Es war eine Abart ihrer eigenen schweren Krankheit. Die pulsierende Kraft in ihrem Rücken, erinnerte sie an das Auf und Ab der Wogen auf dem Meer. Sie konnte auf diesen Wogen reiten - hinaus, um Verbindungen zu lösen, Proteine aufzulösen - und dann einwärts, um etwas Neues zu formen, so daß das Ding die Form veränderte und seine Funktion, daß es schmolz und sich neu formierte, bis es ein harmloses Eiweißklümpchen wurde. Und sie hatte es gerade so weit verändert, daß es seine eigenen Artgenossen nun auseinander nehmen konnte. Sie hatte es vollbracht.
„Honig“, verlangte Madrone, und Mary Ellen reichte ihr eine kleine Schüssel. Madrone ließ einen Tropfen von ihrem Schweiß hineinfallen und lud so die goldfarbene Flüssigkeit mit der Energie dieser Veränderung auf. Sara und Isis konnten die Kranke damit die Nacht über füttern. Vielleicht war der Heilungsprozeß nicht gänzlich abgeschlossen, aber Madrone hatte ein sehr gutes Gefühl.
Madrone schüttelte ihre Hände aus. Die Energie verwandelte sie in einen kühlen Strom, der durch Katys Körper floß, dabei das Fieber mit sich nahm. Gereinigt, beruhigt, getröstet lag Katy da, sie atmete merklich ruhiger. Madrone fühlte sich durstig und überaus müde.
„Kümmere dich nun um dich selbst“, hörte sie wieder Rachels Stimme. Madrone nickte. Sie atmete tief ein und fühlte sich von goldenem Licht durchflutet.
„Danke Isis, danke Sara! Ihr könnt mich nun loslassen. Ruht euch jetzt aus. Wir haben gute Arbeit geleistet.“
Die Frauen lösten sich voneinander. Aber als sie sich ansahen, konnte Madrone immer noch die Spannung zwischen ihnen wahrnehmen. Vielleicht lenkt es Sara etwas von ihrer Verliebtheit in mich ab, hoffte Madrone. Sie wollte nur schlafen. Diosa! Wann hatte sie zuletzt solche Gefühle gehabt? Vielleicht, als Bird zurückgekommen war. Mit Sandy war es anders, mehr voller Süße und Gleichmäßigkeit, nicht diese
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