Das Fünfte Geheimnis
keine Absaugvorrichtungen, um Atemwege und Nase des Babys von Schleim freizusaugen. Aber das Baby öffnete ganz von selbst seinen winzigen Mund, tat einen tiefen Atemzug und begann zu schreien.
Katy streckte erleichtert ihre Hände aus und legte sie dem Baby, ihrem Baby, auf den kleinen Körper. Sie streichelte überrascht seine Haut.
„Es ist so schleimig“, flüsterte Isis ängstlich.
Madrone lachte. „Das ist die Schmiere, die die Haut bedeckt und das Kind im Mutterleib schützen soll. Gleich werden wir das Baby sauber machen. Und dann werden wir deine Haut damit einreiben, es gibt nichts besseres.“
Doch ein Blick von Isis erinnerte sie daran, daß eine geglückte Geburt Anlaß war, Gott zu loben und zu preisen. „Jetzt wollen wir das Baby willkommen heißen und Gott loben! Sind eure Hände sauber? Dann reibt das Baby vorsichtig trocken. Bein für Bein, Arm für Arm, Finger für Finger. Und wünscht dem Kind etwas, etwas was ihr für euch selbst auch wünschen würdet. Dann habt ihr immer eine seelische Verbindung zu diesem Kind.“
Madrone rieb die Kleine vorsichtig ab. Dabei zeichnete sie ein spiralförmiges Muster auf die samtweiche Haut des Babys: „Ich wünsche dir, daß du immer die heilenden Kräfte findest, die du brauchst.“
„Ich wünsche dir, daß du immer genug zu essen und zu trinken hast, um mit anderen teilen zu können“, sagte Mary Ellen.
„Ich wünsche dir, daß du die wahre Liebe findest“, sagte Sara.
„Ich wünsche dir, daß du jede Falle siehst, die man dir stellt“, sagte Isis.
Katy zog das Baby zu sich hoch und legte es sich an die Brust: „Ich wünsche dir die Kraft zu überleben.“
„Wer will die Nabelschnur durchtrennen und damit die letzte Verbindung zwischen Mutter und Kind unterbrechen?“ fragte Madrone.
„Du natürlich“, sagten die anderen wie aus einem Munde. Und so griff Madrone zu dem Messer, das Mary Ellen schon vorher sterilisiert hatte.
Sie hob es hoch. „Sei frei, sei stark, sei immer du selbst, sei stolz, eine Frau zu sein, liebe und lasse dich lieben. Lebe zwischen Blumen, umgeben von frei fließenden Wassern, lebe unter der warmen Sonne, atme stets frische, klare Luft, ernährt von Mond- und Sternenlicht. Sei gewiß, daß du uns willkommen bist, daß du uns ein kostbares Geschenk bist. Sei gesegnet“, sagte Madrone.
Das Baby schrie, und Katy legte es an die Brust, damit es trinken konnte. Mit einem schmerzlichen Seufzer preßte sie den Mutterkuchen aus sich heraus. Mary Ellen warf ihn in eine Schüssel, während Madrone Katys Bauch massierte, um ihr zu helfen. Alles war blutüberströmt. Doch alle waren dankbar, daß die Geburt ohne größere Komplikationen vorbei gegangen war.
„Ich werde sauber machen“, sagte Mary Ellen diensteifrig, „und du Madrone, leg dich hin und ruh dich aus.“
Madrone setzte sich hin. Ihr Körper zitterte, als hätte sie selbst ein Kind geboren. Was ja in gewisser Weise zutraf. Sie hatte Katy aus dem Hospital gerettet, hatte sie davor bewahrt, als Versuchskaninchen zu sterben. Auch das Kind wäre dann gestorben. Beide, Katy und das Baby hätten vorher noch unzählige Daten geliefert, Daten, die einem unmenschlichen Zweck gedient hätten. Sie schauderte. Besser nicht daran denken. Ja, sie hatte zwei Leben gerettet, zwei Menschen, die hier nun lagen und atmeten.
Aber sie waren immer noch in Gefahr. Die Welt des Bösen konnte sie alle immer noch erreichen und verschlingen. Aber im Moment, sie seufzte tief, im Moment konnte sie sich sagen: Du hast gesiegt! Einiges hatte sich zum Guten gewendet. Neues Leben war geboren worden. Ein Blick aus der Deckslucke zeigte ihr, daß die Sonne aufgegangen war. Und sie segelten heimwärts, ja, nach Hause.
Kapitel 31
Mayas Kopf schmerzte. Der Versammlungs-Raum war eine nur dürftig erhellte Tiefgarage. Die Leute drängten sich zwischen den Pfeilern. Schweißgeruch lag in der Luft, durchmischt mit dem Duft nach Salbei. Die Stimmen mit ihren Masken waren dem Gedränge ebenso ausgeliefert wie alle anderen. Die Diskussion war hitzig, mit aggressiven Untertönen, und hatte nach Mayas Meinung schon zu lange gedauert. „Bird ist zum Feind übergelaufen!“
Cress vom Wasser Council rief dies. Seine Augen waren gerötet, ein Drei-Tage-Bart umgab sein Kinn. Er sieht übermüdet aus, dachte Maya, wie wir alle. Aber ich kann mir nicht helfen, irgendwie gefällt er mir nicht.
„Sag das nicht!“ protestierte Sachiko von der Musiker-Gilde, „niemand weiß, was sie mit ihm
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