Das Fünfte Geheimnis
Konfusion, als die Soldaten die Plattform erreichten, doch dann entstand eine sichtbare Lücke.
Madrone schaute auf. Isis und Nita standen neben ihr, River dahinter. Er war immer noch gesund, und die drei Tage, die Sam hatte abwarten wollen, waren längst verstrichen. River hatte inständig gebeten, mitkommen zu dürfen. „Vielleicht gibt es eine gute Chance, zu den Kumpels von der Armee zu sprechen“, hatte er gesagt.
Madrone hatte schließlich zugestimmt, er hatte ja recht. Wenn es ihnen gelang, die Tribüne in der Mitte der Plaza zu erreichen, konnte er womöglich wirklich zu der Menschenmasse sprechen.
Von ihrem Platz aus konnten sie nun den General sehen, umgeben von den hellen Gesichtern seiner weißen Leibwache. Er stand auf der Ostseite der Plattform. Ein Schwarm kupferbrauner Soldaten schleppte gerade ein helles Bündel die Treppen auf der Westseite hinauf. Sie legten ihre Last am Fuß des Fahnenmastes ab, oben wehte das Banner der Eroberer aus den Southlands.
„Was machen die da?“ fragte Nita verwundert. Sie war kleiner als Madrone und konnte so außer den Rücken der Umstehenden kaum etwas erkennen.
„Sie binden etwas an den Fahnenmast. Oder irgendjemanden“, antwortete ihr River.
Die Soldaten da oben traten nun zurück und gaben den Blick frei. Da stand Maya, totenblaß und in ihre weißen Gewänder gehüllt, am Fahnenmast festgebunden und mit einem Knebel im Mund.
„Oh Göttin“, murmelte Nita entsetzt. Madrone griff nach ihrer Hand.
Isis stieß sie an: „Laßt uns näher herangehen. Vielleicht können wir irgend etwas tun.“
Sie schoben sich langsam nach vorne. Doch sie stoppten, als sich ein weiterer Trupp Soldaten mit Gewalt den Weg durch die Menschen in Richtung Plattform bahnte. Es waren Schwarzafrikaner mit dicht gekräuseltem Haar, wie bei River.
„Sind die Schwadronen nach Hautfarben eingeteilt?“ fragte Nita.
„Das soll die Rassen reinhalten“, sagte Isis, „sieht sicher gut aus bei Paraden.“
„Das ist meine Einheit“, sagte River, „ich muß mit ihnen sprechen.“ Er drängte sich durch die Menge nach vorn. Madrone wollte ihm folgen, aber Isis hielt sie zurück.
„Laß ihn gehen. Er kann selbst auf sich aufpassen.“
Rivers Einheit stellte sich in zwei Linien nördlich und südlich auf der Plattform auf. Der Blick wurde frei auf eine einsame Figur in der Mitte. Es war Bird. Madrone erkannte ihn sofort, obwohl er in der fremden Uniform wie ein schwarzer, unbekannter Soldat aussah. Er war umgeben von einer roten Aura aus Schmerz, eingehüllt in einen undurchsichtigen Film, der ihn wie eine Blase umschloß. Er stand da und schien immer noch zu gehen.
General Alexander trat vor. Seine Stimme dröhnte über die Menge.
„Ich habe euch nicht hierher gerufen“, sagte er. „Dennoch ist es gut, daß ihr gekommen seid. Die Vierte Expeditions-Armee der Stewards hat dieses Land im Namen der Vier Reinheiten in Besitz genommen. Wir sind beauftragt, dieses Land von Hexerei und Dämonenglauben zu befreien. Vor euch steht die Oberhexe. Ihr seid gekommen, um ihrer Hinrichtung zuzusehen.“ Er zeigte nach Westen, wo Maya gefesselt dastand.
Ich sollte eigentlich Angst haben, dachte Maya. Ich sollte irgend etwas fühlen. Aber ihr kam das alles unwirklich vor. Der Tod war ihr ohnehin so nahe, warum das Unvermeidliche nun überstürzen?
Freundin, ich habe immer gewußt, daß du ein schlimmes Ende nehmen würdest. In der Öffentlichkeit hingerichtet? Also wirklich!
Halt den Mund, Johanna, oder tu wenigstens etwas!
Was können wir da noch machen? Eigentlich nichts, nur abwarten.
Bird stand in der Mitte der Plattform, nicht ganz sicher, wie er dorthin gekommen war, und er begriff auch nicht klar, was um ihn herum eigentlich geschah. Alles sah so merkwürdig aus. Er konnte kaum etwas erkennen. Seine Kehle war ausgetrocknet und schmerzte. Fast wie bei einem Katzenjammer nach durchzechter Nacht, dachte er, aber nur fast. Denn da war etwas, das hinderte ihn, etwas zu fühlen oder fest ins Auge zu fassen.
Einer der Leibwächter des Generals stieß ihn an. Sein weißes Gesicht tauchte verschwommen vor Birds Augen auf. Bird hörte undeutliche Worte: „Eine falsche Bewegung, du Mistkerl, und wir schießen in die Menschenmenge.“
Er fühlte etwas Kaltes in seinen Händen. Es schien ihm unendlich weit entfernt, waren das überhaupt seine Hände? Er blickte nach unten. Der Soldat hatte ihm ein Lasergewehr in die Hände gedrückt.
„Einer von euch hat die Wege des Unglaubens
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