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Das Fünfte Geheimnis

Titel: Das Fünfte Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Starhawk
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schwarzen Rosen, mit nächtlichen Lilien. Er fühlte Wärme, als hielte jemand seine Hände.
    Die Biene blieb bei ihm, und als sie fortflog, kam eine andere. Er hatte immer noch kein Gefühl für die Zeit, aber sein Vertrauen in die Bienen wuchs und wuchs. Sie kamen und gingen, gingen und kamen und teilten sein Dasein in Intervalle. Es schien, daß keine von ihnen den üblen Dunst in seiner Zelle lange aushielt, aber sie kamen immer wieder, er war nicht mehr allein. Er war dankbar. Das Bienengesumm verscheuchte die Geister aus seinem Kopf, ihre zarten Füße auf seiner Haut brachten ihm in Erinnerung, daß sein Körper auch Lust empfinden konnte. Nichts konnte er ihnen dafür zurückgeben. Die schleimige Suppe, die er von Zeit zu Zeit bekam, war gewiß nichts für sie. Aber er sprach mit ihnen, sang ihnen halblaut etwas vor, und anscheinend mochten sie das gern, obwohl er nicht sagen konnte, woran er das merkte. Vermutlich war er längst jemand, der zu Insekten sprach! Aber das war ihm egal. Er sang, erst krächzend, doch allmählich fand er seine Stimme wieder. Er sang all die Lieder, die er kannte, und als er damit durch war, erfand er neue Lieder. Lieder, die ihm diese Hölle erträglicher machten, trotz Folter, Betrug und Tod, Lieder, die allesamt in der Luft hingen. Den Bienen war das gleich. Hört, ihr Bienen, hört ihr Geister, ich singe für euch, alles was ihr euch wünscht. Seid ihr nun glücklich? Niemand außer euch hört diese Lieder, aber ich singe.
    Ohne jede Vorwarnung kamen plötzlich die Wachen herein. Die Tür flog auf, schwere Stiefel knallten auf dem Boden, harte Hände rissen ihn hoch und stellten ihn auf die Füße. Eine Welle körperlicher Schmerzen durchzuckte Bird, so intensiv, daß er sich fast übergeben mußte. Die Hände wurden ihm auf dem Rücken zusammengebunden, und dann stießen sie ihn vorwärts, einen langen Korridor entlang, neuen, unbekannten Qualen entgegen. Ihr verdammten Bienen, tobte Bird innerlich, ich war schon fast tot, da habt ihr mich wieder zum Leben erweckt. Und wo seid ihr jetzt?
    Rosa saß auf einem Stuhl, gefesselt und zitternd.
    „Heute hast du die Wahl“, sagte einer der Soldaten höhnisch. „Wir können sie durcharbeiten und du schaust zu. Oder sie schaut zu, während wir dich bearbeiten. Entscheide dich, los. Wer soll es sein, sie oder du?“
    Er hatte gerade noch genug Energie, seine zerschundenen Lippen zu öffnen und ein Wort hervorzustoßen: „Ich.“
    Er nahm sich vor, nicht zu schreien, nicht vor ihr. Aber dann schrie er doch, er kroch auf dem Boden, er machte sich in die Hosen. Sie würden ihn foltern, bis er bat, sie mögen Rosa statt seiner quälen. Wie lange würde es dauern? Und was kam dann? Und war es überhaupt wichtig? Wenn er diesmal standhielt, würde er nicht beim nächsten Mal aufgeben? Allmählich begann er, Rosa zu hassen. Ihre Schreie zu hassen, die in seinen Ohren gellten. Er wollte, daß sie still war, tot, endgültig tot. Er wollte sie leiden sehen, wie er selbst leiden mußte.
    Dann kam der General persönlich.
    „Ist er soweit?“
    „Nicht ganz, Sir, zu Befehl Sir. Er hält länger aus, als wir dachten.“
    „Wir sind schon spät dran. Gebt ihm einen Schuß, aber nicht zuviel. Er soll nicht betäubt aussehen. Dann bringt ihn hoch. Ich habe Verwendung für ihn.“

    ✳✳✳

    Auf der Plaza strömten die Menschen zusammen. Einige waren schon am Vormittag gekommen. Andere kamen erst jetzt. Nur wenige waren allein. Meist kamen größere Trupps, Nachbarn, die sich zusammengetan hatten. Sie wanderten singend und rufend durch die Straßen. Und nun schien die ganze City hier versammelt. Die Menschen waren unruhig, Gruppen schoben sich hin und her, es brodelte, die Stimmung war gedämpft aggressiv.
    Die Lautsprecheranlage, die nach dem Aufstand auf der Plaza installiert worden war, funktionierte immer noch ausgezeichnet. Solarzellen lieferten die notwendige Energie. Wenn der Sprecher auf der erhöhten Tribüne in der Mitte der Plaza sprach, konnte man ihn noch in den weiter entfernten Straßenzügen gut verstehen. Nun waren es die Soldaten, die daraus Nutzen zogen. Sie drohten über die Lautsprecher unverhüllt: „Wenn ihr nicht heimgeht, passiert etwas.“
    Doch die Menschen gingen nicht. Sie marschierten weiter rund um den Platz, singend, rufend, trommelnd.
    Ein Trupp Soldaten näherte sich der Plaza, zog vorbei an der alten Bibliothek und bahnte sich brutal einen Pfad durch die erregten Menschenmasse. Es gab einen Moment der

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