Das Fünfte Geheimnis
schön, mehr noch als früher, vielleicht, weil sie nun das Schicksal verband, beide waren sie verwundet, beide hatten sie überlebt. Und beide waren sie daran gewachsen, beide waren sie stärker geworden. Ja, ich bin stark, dachte Bird. Selbst wenn andere Kräfte manchmal stärker sind.
„Und wie war es in den Southlands?“ fragte er Madrone.
„Hart“, gab Madrone zurück. Warum fragt er, dachte sie, ich habe meine Geschichte doch schon jedem erzählt. „Sehr hart, aber ich bin froh, daß ich dort war. Ich habe viel gelernt. Ich weiß nicht, ob ich viel ausgerichtet habe, oder ob ich jemals dorthin zurückgehen würde.“
„Hast du darüber nachgedacht?“ fragte Katy eifrig.
„Das fragst du mich? Du hast doch gedroht, du würdest niemals mehr den Garten der Schwestern verlassen.“
„Ich möchte wieder zurück. Vielleicht geht es ja nicht, aber ich möchte es. Es ist meine Heimat, und die meines Babys auch.“
Madrone blickte auf Bird: „Würdest du gehen?“
Er blickte sich im Raum um. Er wirkte warm, hell und freundlich, es roch angenehm nach Essen, ringsumher saßen Freunde und Familienmitglieder. Hier war er sicher, niemand wollte ihm hier etwas Böses oder würde ihn gar foltern. Er hatte seine Musik, soweit seine verletzten Hände das zuließen, und ihm gegenüber saß Madrone, lebendig und hielt ihre sanften Augen auf ihn gerichtet. Würde er das alles aufs Spiel setzen?
„Wenn ich mich ausgeruht hätte“, sagte er dann, „könnte ich darüber nachdenken. Gemeinsam mit dir.“
„Komm zurück, aber mit der Einheit, Mann“, sagte River spontan. Er saß am Tisch vor einem Teller Suppe. „Wir holen uns da unten eine Armee, befreien sie von den Boostern, und dann übernehmen wir das Land.“
„Ich kann nicht eigenhändig jeden einzelnen Soldaten in den Southlands von der Sucht nach Boostern befreien“, sagte Madrone.
„Sobald die Laboratorien wieder in Ordnung sind, machen wir eine eingehende Analyse“, sagte Sam, „ich bin sicher, wir finden einen Weg, um alle oder fast alle von den Boostern unabhängig zu machen.“
„Das würde den Sieg möglich machen“, sagte Katy.
„Schöner Gedanke“, gab Lily zu, „wir haben auch wieder Radio-und Funkverkehr. Die Funkblockade ist vorüber. Der Kurzwellen-verkehr funktioniert. Wir empfangen wieder Nachrichten aus anderen Teilen der Welt. Die Zeit der Isolierung ist vorüber. Vielleicht können wir bald wieder überall hin.“
„Wohin denn?“ fragte Isis und setzte sich mit einem Ruck auf.
„Wohin du willst. Über die Berge nach Osten, über das Meer zu den Inseln im Westen. Vielleicht nach Japan und Asien? Überallhin hatten wir doch Verbindung, bis dieser Krieg uns isolierte.“
„Ich möchte nach Westen“, sann Isis, „ich möchte über den Ozean segeln und alles kennenlernen. Mit dir, mein Baby“, sie streichelte Saras Arm.
„Ich möchte nicht wieder zurück in die Southlands“, sagte Sara, „aber ich würde gern mal nach Hawai. Glaubst du, daß wir nach Hawai finden?“
„Wir können ja mal nachschauen. Das gefällt mir. Wer kommt mit?“ Isis zwinkerte Maya zu. „Und was ist mit dir, Grandma? Vielleicht raubt dich ein dunkelhäutiger Pirat von der Seite deines grauhaarigen Opas?“
Maya lächelte. Ja, wirklich, warum nicht große Pläne machen? Sie sah sich schon an Bord eines kleinen Schiffes. Sie war eigentlich nur müde, und dennoch fühlte sie sich von dem Gedanken an eine große Reise angezogen. Sie würden über die Wogen des Ozeans segeln, bei Sturm, bei blauem Himmel, im Zickzack gegen den Wind aufkreuzen. Sie würden die alten Inseln neu entdecken. Und sie würde tun, was sie immer getan hatte: Mit den Menschen sprechen, ihnen zuhören und ihnen antworten. Sie würde auch dort hochhalten, was sie immer hochgehalten hatte, und an was sie glaubte, die heiligen Werte des Lebens: Luft und Feuer, Wasser und Erde. Sie würde überall Gleichgesinnte finden, überall Freunde haben, das wußte sie, und der Gedanke wärmte sie.
Und vielleicht würde sie auf dem Weg über den Ozean das Meer der Meere finden. Jenes geheimnisvolle Meer der Sagen, wo Gedichte auf dem Wasser träumten, wie weiße Wale. Das tiefste aller Meere, wo die Delphine sprangen und alle Lebewesen ein friedvolles, freudvolles Rendezvous auf dem Grund der goldenen See hatten.
Oh, die Welt war groß. Und sie war schön. Sie war in ihrer Jugend mehr als genug herumgereist, sie wußte, wieviele Wunder es überall zu entdecken gab, nicht nur im
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