Das Fünfte Geheimnis
Kopf bin.«
Nicht gerade ein toller Song, aber fürs erste würde er seinen Zweck erfüllen.
Er ließ das Abendessen aus, unter Qualen, denn er war hungrig, und der Geruch der Mahlzeit betäubte ihn fast. Niemand merkte etwas, denn innerhalb der Baracke war die Überwachung nicht so scharf wie sonst. Er schlief schlecht und unruhig und wachte mit quälenden Kopfschmerzen auf. Er übersprang auch das Frühstück. Zitternd schlich er zur Arbeit, pochende Schmerzen in den Schläfen, die noch schlimmer wurden, je höher die Sonne stieg. Wasser holte er sich dann und wann unter den Augen der Wache von einem der Tanks, er hatte gesehen, daß die Soldaten ebenfalls davon tranken. Also, so hoffte er, würde es vielleicht frei von Drogen sein.
Am Abend war er todmüde, seine Muskeln waren verkrampft. Übelkeit stieg in ihm auf, aber er schleppte sich bis auf sein Lager.
Die Nacht war qualvoll. Seine Muskeln schmerzten, er biß sich in die Faust, um nicht zu weinen. Er versuchte, sich selbst zu heilen, aber er schaffte es nicht. Er versuchte, seelischen Kontakt mit Maya oder Madrone aufzunehmen, doch auch das gelang ihm nicht. Er hatte vergessen, wie er den Weg zu ihnen gehen konnte.
Die Schmerzen wühlten tief in seinem Körper, er versuchte sich mit Erinnerungen abzulenken. Als er noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte ihn Brigid, seine Mutter, mit Märchen und Geschichten von Zauberern in den Schlaf gewiegt. Nun stellte Bird fest, daß sie ihm damals Unterricht in Magie gegeben hatte. »Es waren einmal Kinder, die konnten sich in Vögel verwandeln«, hörte er den einschläfernden Singsang seiner Mutter. Er versuchte sich vorzustellen, wie das gewesen war, als sie an seinem Bett saß und seine Schmerzen mit ihren kühlen Händen vertrieben hatte. Sie war nun schon lange tot, gestorben während der großen Epidemie, in einen Vogel verwandelt war sie fortgeflogen.
Leise summte Bird ein altes Lied:
Wenn ich ein Vöglein wär,
und auch zwei Flügel hätt',
flög ich zu dir...
Wie das Lied weiterging, konnte Bird sich nicht erinnern, also summte er wieder und wieder diese ersten Zeilen vor sich hin, bis es nur noch ein monotones Brummen war, das Hunger und Schmerzen betäubte. Langsam schlief er ein.
Als er am nächsten Morgen hinausging, fühlte er, wie die Erde unter seinen Füßen vor Leben vibrierte, und er konnte ihre Kraft in seinen Körper hinaufziehen. Er konnte die Kraft der Sonne in sich einsaugen und so die Nachwirkungen der Drogen zum Verschwinden bringen.
Endlich war er wieder er selbst, stand mit beiden Füßen fest auf der Erde, unter einem grenzenlos weiten, freien Himmel, die Hügel und die Weiten des Meeres vor sich. Er fühlte sich wieder eins mit der Welt, mit seinem Land, mit der Erde. Er war bereit, wieder Pläne zu machen. Und dann schnell zu handeln, denn er konnte nicht länger ohne Nahrung auskommen.
Das erste Problem waren seine Begleiter. Als sie mit einbrechender Nacht wieder zu ihrer Baracke wanderten, stupste er Littlejohn an und bedeutete ihm zur Seite zu gehen.
»Iß nichts«, sagte er, »das Essen ist voller Drogen.«
»Ja, sicher«, gab Littlejohn matt zurück. Doch später griff er ohne zu Zögern zum Löffel und aß. Bird nahm ihm den Teller fort, zog Littlejohn hoch und zerrte ihn in den Winkel bei ihren Schlaf-Pritschen.
»Was soll das?« knurrte Littlejohn böse.
»Halts Maul«, fauchte Bird ihn an, »ich habe dir gesagt, iß nichts davon. Wir müssen klar im Kopf sein, wenn wir von hier fliehen.«
»Klar«, sagte Littlejohn und ging zurück zum Tisch, wo sich bereits einige andere Gefangenen über seinen Teller hergemacht hatten. »Hey, Leute«, brüllte Littlejohn, »das ist mein Essen.«
Bird zerrte ihn fort. »Sei still«, sagte er, »du ißt nichts davon! Nur dann kommen wir von hier fort.« Er schubste Littlejohn auf seine Pritsche. Dann machte er sich auf die Suche nach Hijohn. Der stand wie üblich in der hinteren Reihe an der Essensausgabe, wohin ihn die Stärkeren mit Fausthieben getrieben hatte. Bird zog Hijohn beiseite.
»Das Essen ist vollgepumpt mit Drogen«, flüsterte er, »iß nichts davon. Wir hauen hier ab.«
Es schien, als müßten seine Worte erst durch dicke Nebel sickern, bevor sie Hijohns Gehirn erreichten. Doch dann glomm etwas wie Verstehen in seinen dunklen Augen auf. Ohne ein Wort zu sagen schlurfte er zu seiner Schlafpritsche, legte sich hin und schlief ein.
Bird verbrachte eine schlaflose Nacht. Er hielt Littlejohn fest in den Armen.
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