Das Fünfte Geheimnis
solltest ihn doch fertig machen.«
»Hab' ich ja. Ich habe ihn fertig gemacht, und wie. Zweimal sogar. Aber wie gesagt, er läuft schon wieder hier herum. Wenn das keine Zauberei ist.«
»Dann mach' ihn nochmal fertig, am besten heute nacht.«
»Teufel, nein! Nicht schon wieder ich. Was denkst du, was ich bin? Ein Sadist, der die Leute pausenlos zu seinem Vergnügen zusammenschlägt?«
»Na ja, genau diesen Eindruck hatte ich.«
»Natürlich, ich muß die Arbeit ja tun. Gefährliche Arbeit, sag ich dir. Gibt es eine Gefahrenzulage dafür?«
»Egal, mach deinen Job heute nacht.«
»Wie oft soll ich denselben Kerl noch fertig machen? Das wird ja langweilig.«
»Wenn es dir spannender vorkommt, dann jag' ihm doch eine gottverdammte Kugel in seinen gottverdammten Kopf.«
»Sicher, und du füllst nachher die Formulare wegen unerlaubtem Gebrauch von Feuerwaffen für mich aus?«
»Mir wurscht, wie du es machst, aber mach' ihn fertig.«
»Am liebsten würde ich den Arsch und noch ein paar von den anderen Hurenböcken rausschicken ins Arbeitslager. Dann wären wir sie los.«
»Wunderbar! Und was, wenn die Zentrale den Kerl dann zu sehen wünscht?«
»Zehn gottverdammte Jahre lang hat keiner diesen Idioten sehen wollen. Sie haben diese Boys hier ins Gefängnis geworfen und sie dann offenbar vergessen. Und nun sollen wir plötzlich um sie herumtanzen.«
»Es ist mir scheißegal, was du tust, solange ich es nicht zu verantworten habe.«
»Sehr fair von dir.«
Zwei Tage später beim Appell. Bird hielt sich mühsam stramm, um keinen Ärger zu bekommen. Ein Mann kam herein mit einem Klemmbrett und einer Computer-Liste. Mit kalter Stimme las er eine Reihe von Zahlen vor. Birds Ohren fingen drei Nummern auf. Seine eigene und die von Littlejohn und Hijohn. Hijohn hatte es auch gehört und sah erschrocken auf. Was sollte das bedeuten?
»Fertig machen für den Abtransport«, sagte der Wachposten, »packt eure Sachen zusammen!«
✳✳✳
Sie waren fast nackt, die Fußfesseln erlaubten nur trippelnde Schritte, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Einzeln wurden sie in einen alten Bus gestoßen, der sich dann langsam und ächzend in Bewegung setzte mit seiner uralten Verbrennungsmaschine. Metallblenden an den Fenstern verhinderten den Ausblick. Nach vielen Stunden Fahrt wußte keiner von ihnen mehr, war es Tag oder Nacht? Schmerzhaft spürte Bird das Bedürfnis zu pinkeln, es steigerte sich zu Höllenqualen, bis er schließlich völlig gefühllos wurde. Er versuchte zu schlafen, doch es gelang ihm nur, ein wenig zu dösen.
Schließlich hielt der Bus mit einem Ruck. Ein Wächter bellte Befehle und sie kletterten mühsam aus dem Wagen. Dämmerung um sie herum. Der Horizont glühte orange, der Himmel wurde heller, während Bird den Blick über diesen ungewohnten Ort schweifen ließ. Sie standen im Staub vor einem verwahrlosten, mit Wellblech gedeckten Gebäude und warteten. Die Offiziere sprachen miteinander und unterzeichneten gegenseitig die Übergabepapiere für die Gefangenen. Bird schnupperte in die Luft. Alle seine Sinne erwachten schmerzhaft zu neuem Leben. Er fühlte seinen schmerzenden Körper als hätte er ihn noch nie gefühlt, und spürte plötzlich, wie der Hunger rasend in seinen Eingeweiden wühlte.
Hinter dem Wellblechdach ragten die dunklen Hügel der Küstenlandschaft auf. Verhalten schimmerte dort von der Trockenheit golden gefärbtes Gras. Bird atmete tief und sog die Luft ein. Was immer nun passieren mochte, er hatte diesen einen, diesen winzigen Moment des Glücks genossen. Er stand auf Erde, richtiger Erde, fast meinte er, ihr lebendiges Vibrieren in seinen Füßen zu spüren, das Rollen der Erdkugel durch das Weltall. Eine sanfte Brise wehte vom Pazifik her, strich über die Gesichter der Gefangenen und brachte den Geruch von Blättern, Staub und Seetang, von Lorbeer und Beifuß mit sich. Bird sah die Natur in ihrem sanften Blau und Grün und erdigen Tönen am Boden. Er hätte am liebsten vor Glück laut gejubelt, doch er wagte es nicht. Stattdessen sog er wieder und wieder die frische Luft in seine Lungen und fühlte, wie das Leben in seinen Körper zurückkehrte, und im nächsten Augenblick würde die Sonne aufgehen.
Dann gellten Befehle. In langer Reihe marschierten die Gefangenen in einen tristen, grauen Raum. Schwer fiel die Eisentüre hinter ihnen ins Schloß.
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»Aufstellen zum Appell.« Eine rauhe Stimme dröhnte durch die Baracken und brach sich an den Wänden. Bird
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