Das Fünfte Geheimnis
Littlejohn folgten Trampelpfaden, stolperten auf überwucherten Sandwegen und Feuerschneisen, bisweilen traf ihr Fuß plötzlich auf Teile geborstener Pflasterung, die von Baumwurzeln hochgedrückt wurde.
Oft verloren sie jeden Hinweis auf einen Pfad. Dann krochen sie auf Händen und Knien durchs Unterholz. Die Krähe leitete sie durch das Dünengebiet, das dem Hügelland vorgelagert war, und sie flatterte munter in einen verlassenen Garten an einem flachen morastigen Tümpel. Hier fanden sie Weintrauben und wild wuchernde Tomaten. Sie waren zwar immer noch hungrig, aber sie wußten nun, sie würden überleben.
Das Laufen im Dünensand war fast zu viel für Birds schmerzende Muskeln, aber er hielt durch. Manchmal konnten sie einem Pfad folgen, der über schroffe Felsen führte, von denen man das Wasser sehen konnte. In den Hügeln hatte Bird versucht, dem giftigen Lack-Sumach aus dem Weg zu gehen, aber am dritten Tag fühlte er sich schlecht und sein ganzer Körper juckte.
Früher hat es mir nichts angehabt«, jammerte Bird. »Ich konnte mich in dem Zeug wälzen und es hat mir nichts ausgemacht.«
»Piss drauf,« sagte Littlejohn, »das bringt das Jucken weg.«
»Bist du sicher?«
»Klar, das hilft. Kannst du's nicht heilen?«
»Ich tu' mein bestes. Aber ich bin ja kein richtiger Heiler. Nur manchmal, wenn's um Leben und Tod geht, kommt etwas über mich, aber das scheint mich nun verlassen zu haben. Wenn Sandy nur hier wäre. Er hätte Kräuter gegen das Jucken gewußt und Madrone, die kann dich schon fast mit einer Handbewegung gesund machen.«
»Wer sind sie?«
»Meine Familie. Meine Geliebten. Wenn sie überhaupt noch am Leben sind.«
Sie schwiegen. Das lange Heranrollen und Verebben der Wogen erreichte sie dort wo sie saßen nicht, halb verborgen unter den schattigen Ästen eines Lack- Sumachs.
»Was wird passieren, wenn wir zu dir nach Hause kommen?« fragte Littlejohn plötzlich.
»Du bist dort willkommen.«
»Yeah? Wird sich zeigen.«
»Nein, wirklich.«
»Klar. Deine Familie wird begeistert sein, wenn du nach Hause kommst und schleppst so'n schwulen Typen mit, den du im Knast aufgelesen hast.«
»Littlejohn, wenn ich von meiner Familie rede, meine ich all meine Geliebten und deren Geliebte und Kinder und Ex-Lover und alle. Und die Hälfte von ihnen sind schwul, zumindest die Hälfte der Zeit. Wir halten es für ein Wort, auf das man stolz sein kann.«
»Sie heißen ihre Nebenbuhler willkommen?«
»So denken wir nicht darüber.«
»Klar, tut ihr nicht.«
»Ich will nicht behaupten, daß niemand jemals eifersüchtig ist. Aber wir arbeiten dran.«
»Ja klar. Schau mal, Charlie, was wir da im Knast getrieben haben, muß draußen nicht unbedingt weitergehen, ich versteh das ja.«
»Ich nicht.«
»Wir kommen aus verschiedenen Welten. Du bis ein richtiger Hexer. Jedenfalls hast du geheimnisvolle Kräfte. Aber das einzige, was ich wirklich über Magie weiß, ist, daß es dich zum Freiwild für jeden dahergelaufenen Teufelsaustreiber macht, der sich vorgenommen hat, dich umzubringen. Wenn du zu deinesgleichen zurückkehrst, wirst du nicht mit so einem wir mir rumhängen wollen.«
»Ich werd's dir zeigen”; sagte Bird. »Wir alle werden es dir beweisen.« Aber er versuchte, sich selbst zu überzeugen, denn er fürchtete, Littlejohn könnte recht haben. Ihre Körper vereinigten sich, aber es blieben Schranken, die Bird nicht überschreiten konnte, und vielleicht fürchtete er sich auch davor. Littlejohn war ihm undurchschaubar.
»Verdammt, Charlie, wenn du mich nicht im Loch kennengelernt hättest, würdest du mich nicht mal mögen.«
»Sag das nicht.«
»Es ist wahr.«
Ein Teil von Littlejohn hatte sich schon selbst verurteilt, oder er hatte das Urteil einer Umwelt akzeptiert, die ihn nie wirklich gewollt hatte, außer tot. Oder um ihn zu benutzen und hinterher wegzuwerfen, wie einen Putzlappen. Bird wollte mit Littlejohns Dämon kämpfen, aber er konnte die Zauberworte nicht aussprechen, die Worte, die eine Veränderung bewirken sollten, denn er war nicht sicher, daß sie richtig waren. Er kannte Littlejohn nicht, nicht bis auf den Grund seiner Seele. Und nur das zählte. Er sehnte sich nach Leuten, die er kannte, die sich ihm auch seelisch öffneten und den gleichen Boden mit ihm teilten.
»Nun, es hat keinen Sinn darüber zu klagen”, sagte Bird schließlich. »Kann sein, daß wir mein Zuhause nie erreichen. Und wenn, lebt dort vielleicht niemand mehr.«
»Ja, das könnte sein«,
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