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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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wäre Lolita ein Mädchen, das viel und gerne lacht.«
    »Ach ja«, seufzte der Fremde, »andere Zeiten, andere Kulturen. Manchmal fühlt man sich schon wie ein Museumsstück ... Hast du Nabokov gelesen?«
    »Klar«, log ich.
    »Und wie fandest du es?«
    »Nachtmahr einer grauen Stute«, sagte ich lässig.
    Das war eine Redewendung meines alten Großvaters gewesen, wenn ihm einer Blödsinn erzählte. Mit derlei Poesie setzt man sich als Rezensent nicht gleich in die Nesseln, soviel wusste ich.
    »Oho, das trifft den Nagel auf den Kopf!«, freute sich der Fremde. »Nicht umsonst heißt die Stute auf Englisch mare. Das erwähnt unser verehrter Autor sogar an einer Stelle. Aber wieso grau? Ach so! Verstehe, verstehe ... Schlimmer als alle bösen Träume ist die Schlaflosigkeit! Wie sagt doch der Meister: Insomnia, your stare is dull and ashen ... Aschgrau, ließe sich sagen ...«
    Mir fiel ein, dass die Hintertür die ganze Zeit offen gestanden hatte. Offenbar war hier ein Geisteskranker eingedrungen.
    »Die ganze russische Geschichte stürzt ins Loch dieses Albtraums ... Und vor allem die Blitzartigkeit des Übergangs von der Mahr zur Materialisierung. Das graue Stütchen ... Mit einem schlechten Traum fing es an, den Zuckungen eines Pferdehirns - und schon ritt Budjonny über die Hänge der Halbinsel Krim und köpfte mit der Reitgerte die Kletten ...«
    Sein Blick verlor sich in der Ferne.
    Vielleicht doch kein Geisteskranker, dachte ich.
    »Ich verstand noch nicht ganz«, fragte ich höflich, »weshalb die Romane des Schriftstellers Nabokov eine Dreierkiste sind?«
    »Weil er es nicht lassen kann, sich selbst zwischen die Liebespaare in seinen Büchern zu legen. Und hin und wieder eine subtile Replik fallen lässt, mit der er auf sich aufmerksam macht. Was wiederum nicht sehr leserfreundlich ist, soweit es sich nicht um gerontophile Leserschaft handelt ... Weißt du übrigens, welches erotische Buch ich am liebsten habe?«
    Dieser Fremde hielt mit seinen Gedanken erstaunlich wenig hinterm Berg.
    »Nein«, sagte ich.
    »Nimmerklugs Reise zum Mond. Gerade weil dort kein schlüpfriges Wort fällt, ist dieses Kinderbuch der erotischste Text des zwanzigsten Jahrhunderts. Du liest es und stellst dir vor, was diese Knirpse, Schraubfix, Rennefix, Nudeldick und wie sie alle heißen, in ihrer Rakete so anstellen auf dem langen Weg zum Mond ...«
    Nein, dieser Mann ist nicht geisteskrank, der ist im Gegenteil ganz vernünftig, stellte ich fest.
    »Ja, darüber hab ich als Kind auch nachgedacht«, sagte ich. »Und wer sind Sie?«
    »Ich heiße Enlil Maratowitsch.«
    »Sie haben mich ganz schön erschreckt.«
    »Du hast da eine feuchte Stelle im Nacken, willst du es dir vielleicht abwischen?«, sagte er und hielt mir ein Papiertaschentuch hin.
    Ich spürte nichts, tat aber, wie geheißen. Auf dem Taschentuch zeichneten sich zwei kopekengroße Blutflecke ab. Sofort war mir klar, warum er von den Knirpsen angefangen hatte.
    »Aha. Sie also auch ...«
    »Andere Leute verkehren hier nicht.«
    »Und wer sind Sie genau?«
    »In der Menschenwelt würde ich wohl als Chef gelten ... Bei den Vampiren heißt das einfach Koordinator.«
    »Ah ja«, sagte ich. »Und ich dachte schon, Sie wären nicht bei Trost! Schlaflosigkeit, Nabokov auf dem Mond und so weiter. Ist das Ihre spezielle Ablenkungsmethode? Den Biss zu überspielen?«
    Enlil Maratowitsch lächelte schuldbewusst.
    »Wie fühlst du dich?«
    »Geht so.«
    »Aussehen tust du jedenfalls bescheiden, das darf man wohl sagen. Aber so pflegt es immer zu sein. Ich hab dir eine Salbe mitgebracht, damit schmierst du die blauen Flecken über Nacht ein. Dann sind sie morgen weg. Und hier sind außerdem Kalziumtabletten. Davon nimmst du fünfzehn pro Tag. Das ist gut für die Zähne.«
    »Danke.«
    »Ich sehe, du bist nicht gerade erbaut von dem, was dir zugestoßen ist. Du brauchst mir nichts vorzumachen, ich weiß es. Das ist normal. Und sogar erfreulich. Denn es bedeutet, dass du ein guter Mensch bist.«
    »Müssen Vampire etwa gute Menschen sein?«
    Enlil Maratowitschs Brauen schnellten in die Höhe.
    »Aber natürlich!«, rief er. »Was denn sonst?«
    »Na, ich dachte nur ...«, hob ich zur Erklärung an, sprach aber nicht weiter.
    Sagen wollte ich, dass man bestimmt kein guter Mensch sein muss, um anderen Leuten das Blut auszusaugen. Eher das Gegenteil. Aber das hätte wohl unhöflich geklungen.
    »Rama«, sagte Enlil Maratowitsch, »du hast keine Ahnung, wer wir in Wirklichkeit sind.

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