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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Alles, was du über Vampire weißt, ist erstunken und erlogen. Ich will dir was zeigen. Komm mit.«
    Ich folgte ihm in das Zimmer mit dem Kamin und den Sesseln. Enlil trat vor den Kamin hin und wies auf ein darüberhängendes Bild. Es war die Nahaufnahme einer Fledermaus in Schwarzweiß. Schwarze Knopfaugen, gespitzte Hundeohren und eine runzlige Nase, die etwas von einem Schweinsrüssel hatte. Eine Mischung aus Ferkel und Hund, so konnte man es sehen.
    »Was ist das?«
    »Das ist eine Vampirfledermaus. Desmodus Rotundus. Sie kommt in Amerika beiderseits des Äquators vor. Ernährt sich von der roten Flüssigkeit größerer Säuger. Besiedelt alte Höhlen in Großfamilie.«
    »Und warum zeigen Sie die mir?«
    Enlil Maratowitsch ließ sich in einem Sessel nieder. Lud mich mit einer Geste ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
    »Wenn man sich die Märchen so anhört, die in Mittelamerika über dieses winzige Wesen erzählt werden«, begann er, »dann könnte man glauben, es gäbe kein grässlicheres Geschöpf auf der Welt. Diese Fledermaus sei eine Höllenbrut, heißt es da. Und dass sie Menschengestalt annehmen könne, um ihr Opfer ins Dickicht zu locken. In Schwärmen pflege sie über diejenigen herzufallen, die sich im Wald verlaufen, beiße sie zu Tode. Und dergleichen Unsinn mehr. Wenn die Menschen eine Höhle finden, in der Vampirfledermäuse siedeln, räuchern sie sie aus. Oder sprengen sie gleich mit Dynamit in die Luft.«
    Er schaute mich an, als erwartete er irgendeine Erwiderung. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.
    »Aus unerfindlichem Grunde meinen die Menschen, das Gute gepachtet zu haben«, fuhr er fort. »Und die Vampire gelten als die Ausgeburt des Bösen schlechthin. Betrachten wir aber doch einmal die Tatsachen. Nenne mir einen einzigen Grund, weshalb die Menschen besser sein sollten als die Vampirfledermäuse!«
    »Vielleicht weil sie einander helfen?«, hatte ich einen Vorschlag
    »Das kommt bei Menschen äußerst selten vor. Vampirfledermäuse hingegen helfen einander unentwegt. Das Futter, das sie nach Hause bringen, wird unter allen aufgeteilt. Sonst noch was?«
    Mehr fiel mir erst einmal nicht ein.
    »Der Mensch«, sagte Enlil Maratowitsch, »ist der grausamste und sinnloseste Mörder auf Erden. Keinem Lebewesen in seiner Nähe hat er je Gutes getan. Und was das Schlechte angeht... Soll ich anfangen aufzuzählen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Dieses winzige Tierchen aber, das der Mensch zum Inbegriff seiner geheimen Ängste gemacht hat - es tötet gar niemanden! Fügt nicht einmal ernsthaften Schaden zu. Akkurat ritzt die Vampirfledermaus mit den Schneidezähnen die Haut des Wirtes und trinkt ihre zwei Milliliter, nicht mehr und nicht weniger. Was kann das, sagen wir, einem Stier oder einem Pferd schon anhaben? Oder auch einem Menschen? So ein Aderlass gilt vom medizinischen Standpunkt aus als nützlich. In der Literatur ist zum Beispiel ein Fall beschrieben, wo eine Vampirfledermaus einem fiebernden katholischen Mönch das Leben gerettet hat. Wohingegen«, er hob belehrend den Zeigefinger, »kein einziger Fall überliefert ist, in dem ein katholischer Mönch einer fiebernden Fledermaus beigesprungen wäre ...«
    Dagegen ließ sich schwer etwas einwenden.
    »Sämtliche Vorstellungen, die Menschen über Vampire haben, sind falsch, Rama, merk dir das. Wir sind ganz und gar nicht die heimtückischen Monster, als die man uns hinstellt ...«
    Ich schaute auf das Fledermausbild. Das flauschige Schnäuzchen sah wirklich nicht bedrohlich aus - eher klug, zappelig und ein bisschen verschreckt.
    »Was sind wir dann?«, fragte ich.
    »Weißt du, was eine Nahrungskette ist?«
    »So was wie McDonald’s?«
    »Nicht ganz. Einer Nahrungskette gehören Pflanzen und Tiere an, die durch das Prinzip »Fressen und gefressen werden« miteinander verbunden sind. Kaninchen und Schlange zum Beispiel, oder Grashüpfer und Kröte ...«
    Bei diesen Worten zwinkerte er mir lächelnd zu.
    »... oder Frosch und Franzose. Na ja, oder Franzose und Leichenwurm. Die Menschen sehen sich diesbezüglich als Gipfel einer Pyramide: Sie können essen, wen sie wollen, wann? sie wollen, wie sie wollen und wie viel sie wollen. Darauf gründet das menschliche Selbstwertgefühl. Doch in Wahrheit hat diese Pyramide noch eine höher gelegene Etage, von der die meisten Menschen keine Vorstellung haben. Und das sind wir, die Vampire. Wir sind die Krone auf Erden. Das vorletzte Glied.«
    »Und das letzte wäre?«
    » Gott.«
    Darauf

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