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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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den ich aus einer vierten Dimension beobachtete. Die daraus resultierende Unverbindlichkeit erschien angenehm, versprach eine zuvor nicht gekannte Freiheit... aber eigentlich war ich noch zu schwach, um Selbstanalyse zu betreiben.
    Nach dem Duschen nahm ich eine Quartierbesichtigung vor. Die Wohnung war frappierend in den Ausmaßen und ihrem düsteren Luxus. Außer dem Schlaf- und dem Archivzimmer gab es einen Kinoraum mit einer Sammlung von Masken an den Wänden (venezianische Masken, afrikanische, chinesische und solche, die ich nicht zuordnen konnte) sowie eine Art Wohnzimmer mit Kamin und Sitzgruppe und einem altmodischen Radioempfänger im Mahagonigehäuse an prominentester Stelle.
    Dann gab es noch einen Raum, dessen Bestimmung mir nicht aufging - kein richtiges Zimmer, eher eine größere Abstellkammer, deren Fußboden mit dicken, weichen Kissen ausgelegt war. Die Wände mit schwarzem Samt tapeziert, darauf Sonne, Mond und Sterne mit menschlichen Gesichtern; sie schauten streng und abweisend. In der Mitte der Kammer hing an einer Kette eine Vorrichtung von der Decke, die aussah wie ein riesiger silberner Steigbügel - eine gebogene Metallstange mit Querstrebe. Aus der Wand ragte ein metallener Knauf; wenn man daran drehte, fuhr der Bügel über den Kissen hoch oder runter. Ich hatte keine Vorstellung, wozu dieses Gerät gut sein konnte - wenn man nicht einen großen Papagei daraufsetzen wollte, der der Einsamkeit frönte ... Ferner waren über die Wände des Raumes kleine weiße Kästchen verteilt, die Rauchmelder hätten sein können.
    Das Archivzimmer, in dem Brahma sich die Kugel gegeben hatte, kannte ich bereits. Dadurch, dass ich schon einige Zeit darin verbracht hatte, sah ich mich zu einer eingehenderen Untersuchung berechtigt.
    Ganz offenbar war dies das Arbeitszimmer des vormaligen Hausherrn gewesen - obwohl sich schwerlich sagen ließ, worin seine Arbeit bestanden haben mochte. Ich zog aufs Geratewohl ein paar Schübe in der Archivwand auf und fand darin Plastikgestelle mit reihenweise Reagenzgläschen vor, alle schwarz verstöpselt. In jedem befanden sich zwei, drei Milliliter einer klaren Flüssigkeit.
    Eine Ahnung, was das sein konnte, lag nicht fern. Mitra hatte mir die Kostprobe Windows Chrrr aus einem ganz ähnlichen Gefäß kredenzt. Augenscheinlich handelte es sich hier um eine Vampirbibliothek. Die Gläschen waren mit Nummern und Buchstaben versehen. Auch an den Vorderseiten der Kästen gab es aus mehreren Buchstaben und Ziffern bestehende Signaturen.
    Die beiden Aktgemälde an der Wand waren spezieller Art. Auf dem einen, in einem Sessel sitzend, ein nacktes Mädchen von vielleicht zwölf Jahren. Unvorteilhafterweise hatte sie Nabokovs Glatzkopf auf ihren zarten Schultern sitzen, die Nahtstelle war von einem Halstuch mit streng bürgerlichem Tüpfelmuster verdeckt. Lolita war der Titel des Bildes.
    Das andere zeigte ein ungefähr gleiches Mädchen, nur mit sehr viel hellerer Haut und fehlenden Brustwarzen. Hier sah Nabokov schon ganz alt und hinfällig aus, und das Tarnhalstuch über der Naht hatte ein bizarres, poppiges Muster, mit Sternschnuppen, Kickerhähnen und geographischen Symbolen. Dieses Bild hieß Ada.
    Gewisse anatomische Details der kindlichen Körper waren ausgeführt, doch man schaute nicht gern genauer hin, zumal der durchdringend-verächtliche Blick der beiden Nabokovs den Betrachter das Fürchten lehrte. Diesen Effekt hatte der unbekannte Künstler meisterlich hinbekommen.
    Plötzlich meinte ich eine leise Zugluft im Nacken zu spüren.
    »Vladimir Nabokov als Wille und Vorstellung«, sagte eine sonore Bassstimme in meinem Rücken.
    Ich fuhr erschrocken herum. Hinter mir in einem Meter Entfernung stand ein kleiner dicker Mann im schwarzen Jackett über dunklem Rollkragenpullover. Dem Anschein nach in den Fünfzigern; buschige Brauen, Hakennase, hohe Stirn. Seine Augen waren von einer verspiegelten Sonnenbrille verdeckt.
    »Verstehst du, was der Künstler uns damit sagen wollte?«, fragte er.
    Ich schüttelte stumm den Kopf.
    »Nabokovs Romane Lolita und Ada sind Varianten einer Dreierkiste der Marke Wladimir-sei-bei-uns. Darum geht es.«
    Mein Blick wanderte von Lolita zu Ada, auf deren milchweißer Haut ich eine stattliche Anzahl Fliegenpunkte bemerkte.
    »Lolita«, wollte ich wissen, »kommt das eigentlich von LOL?«
    »Wie bitte?«
    »Laughed out loud«, erläuterte ich. »Eine Floskel aus dem Netz. Wir sagen auch Lautes Online-Lachen dazu oder einfach *lach*. Demzufolge

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