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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Leuten vorbeugend empfiehlt, möglichst oft in die Sauna zu gehen.
    Vorstellungen wandeln sich, Verdikte dementsprechend. Verstehst du?«
    Ich nickte.
    »Siehst du, und die moderne Wissenschaft hat einfach nicht die Vorstellungen parat, auf deren Grundlage sich eine wissenschaftliche Antwort auf deine Frage geben ließe. Ich könnte es an einem Beispiel aus einem anderen Bereich zu erklären versuchen, von dem du mehr verstehst. Du kennst dich mit Computern aus, nicht wahr?«
    »Ein wenig«, sagte ich bescheiden.
    »Und ob du dich auskennst - das hab ich doch gesehen. Erinnere dich einmal daran, warum die Firma Microsoft so scharf darauf war, den Netscape-Browser vom Markt zu verdrängen!«
    Es war mir nicht unangenehm, mit meinen Kenntnissen zu glänzen.
    »Damals wusste noch keiner, wie die Entwicklung des Computers weitergehen würde«, sagte ich. »Es gab zwei Konzepte. Dem einen zufolge sollten alle persönlichen Daten des Users auf seiner Festplatte gespeichert sein. Das andere sah vor, den Computer zu einem simplen Netzanschlussgerät zu machen und alle Information im Netz zu hinterlegen. Der User würde sich einkoppeln, ein Passwort eingeben und bekäme Zugang zu seinem Schließfach. Hätte dieses Konzept sich durchgesetzt, dann wäre heute nicht Microsoft alleiniger Marktführer, sondern Netscape.«
    »Genau so ist es!«, sagte Enlil Maratowitsch. »Selbst hätte ich es keinesfalls so klar zu formulieren gewusst. Und nun stell dir vor, das menschliche Hirn wäre ein Computer, über den noch niemand etwas weiß. Heute sind die Gelehrten der Meinung, er wäre so eine Art Festplatte, auf der alles Wissen der Menschheit gespeichert ist. Aber vielleicht kommt eines Tages einer drauf, dass das Hirn nur ein simples Modem ist für den Anschluss an ein Netz, welches sämtliche Daten enthält. Wäre das vorstellbar?«
    »Im Prinzip schon«, sagte ich. »Durchaus.«
    »Na, und das Übrige ist einfach. Wenn der User sich einloggt, muss er sein Passwort angeben. Wenn einer das Passwort abfängt, kann er das Schließfach genauso benutzen wie sein eigenes.«
    »Aha, verstehe. Sie wollen vermutlich sagen, dass als Passwort ein Code dient, der im Blut enthalten ist?«
    »Ich hatte doch darum gebeten, dieses Wort nicht zu benutzen!«, raunzte Enlil Maratowitsch. »Gewöhne dir das bitte gleich ab. Schriftlich kannst du das B-Wort benutzen, so oft du magst, da ist es normal. Aber im mündlichen Gebrauch gilt es für einen Vampir als unschicklich und unzulässig.«
    »Was wäre anstelle des B-Worts denn schicklicher?«
    »Rote Flüssigkeit.«
    »Rote Flüssigkeit?«
    Der Ausdruck war tatsächlich schon ein paarmal gefallen.
    »Ein Amerikanismus«, erklärte Enlil Maratowitsch. »Die angelsächsischen Vampire sagen red liquid , und wir kopieren es. Das ist eine lange Geschichte. Im neunzehnten Jahrhundert hat man Fluid dazu gesagt. Dann kam das Wort in Verruf. Als die Elektrizität in Mode kam, sagte man Elektrolyt oder einfach Elektro, bis auch das wieder einen Ruch von Vulgarität bekam, und man begann den Ausdruck Präparat zu verwenden. In den Neunzigern sagte man dann Lösung dazu. Und jetzt eben rote Flüssigkeit... Hirnrissig, das Ganze. Aber gegen den Strom zu schwimmen ist sinnlos.«
    Er sah auf die Uhr.
    »Noch Fragen?«
    »Ja, sagen Sie, was ist das für eine Besenkammer mit Kleiderbügel?«
    »Das ist keine Besenkammer«, antwortete Enlil Maratowitsch, »das ist unser Hamlet.«
    »Shakespeare?«
    »Nein, nicht Shakespeare. Aber aus dem Englischen. Es bedeutet: kleines Dorf ohne Kirche. Eine unheilige Zuflucht sozusagen ... Das Hamlet ist unser Ein und Alles. Es hat mit einem Aspekt unseres Alltags zu tun, der vielleicht etwas beschämend, aber sehr, sehr faszinierend ist. Mehr dazu später. Jetzt muss ich wirklich gehen.«
    Er erhob sich aus dem Sessel. Ich begleitete ihn zur Tür.
    Auf der Schwelle wandte er sich um, tat eine zeremoniöse Verbeugung und sagte, mir tief in die Augen schauend:
    »Wir sind froh, dass du wieder bei uns bist.«
    »Auf Wiedersehen«, stammelte ich irritiert.
    Die Tür schloss sich hinter ihm.
    Und mir ging auf, dass der letzte Satz nicht an mich gerichtet war, sondern an die Zunge.

BALDUR
    Die Salbe, die Enlil Maratowitsch dagelassen hatte, wirkte unerhört schnell - am nächsten Morgen waren die Blutergüsse um meine Augen tatsächlich verschwunden, so als hätte ich sie mir wie Schminke aus dem Gesicht gewaschen. Nun sah ich, von den zwei Zahnlücken abgesehen, wieder aus wie vorher,

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